Vom Reiseleben

Wir sind in Montenegro, einem sehr jungen Land in Europa. Und hier eine Frage vorweg: wie heisst die Hauptstadt dieses Landes? Man würde meinen, dass wir Europa genügend gut kennen um alle Hauptstädte benennen zu können, schliesslich haben wir dies in der Schule gelernt. Nun ja, meine Schulzeit ist auch schon eine Weile her und Montenegro gab es zu dieser Zeit als unabhängiger Staat noch nicht. Aber unsere Reise ist manchmal auch gut um Geografiekenntnisse aufzufrischen.

Die Hauptstadt haben wir links liegen gelassen und sind mit dem Bus aus den kalten Bergen in Westserbien direkt durch das ganze Land, vorbei an spektakulären Landschaften, an die Küste gefahren. Im September geht es hier recht beschaulich zu, die grossen Touristenmassen sind wieder zu Hause und das Meer ist sauber. Unsere erste Station ist Herceg Novi im Norden. Wir mieten uns in ein kleines Apartment ein, das Balkon mit Sicht auf das Meer verspricht. Wir werden mit serbischer, ähm montenegrinischer Gastfreundschaft und Rakija begrüsst. Am Sonntagmorgen geniessen wir das Frühstück auf dem genannten Balkon und ich habe wieder einmal Zeit die NZZ von A bis Z durchzulesen. Fast wie in der Schweiz. Unsere Reise braucht auch Momente des Alltags. Selber kochen oder Zeitung lesen sind für uns manchmal fast spezieller als eine weitere Sehenswürdigkeit.

Später am Strand lese ich in einem Reiseführer, wie so häufig. Unsere Reise erfordert eine ständige Planung, auch wenn ich mir manchmal vorkomme, dass wir doch nicht immer so gut vorbereitet sind, aber wir sind ja gut im Improvisieren. Wie ging das nochmal mit der Hauptstadt von Montenegro? Schon herausgefunden wie sie heisst? Spicken gilt nicht.

Es bleibt aber auch Zeit für “normale” Bücher. Ich habe in diesem Jahr sehr viel gelesen, von Literatur über Sachbücher bis Groschenromane. Während Theo im Dschungel von Borneo jeden Abend detailliert Tagebuch geschrieben hat, habe ich mir jeweils eine “Auszeit” aus der grünen Hölle genommen und in einem Buch gelesen. Ich habe ein Buch, das ich als Kind schon mal gelesen habe, elektronisch frei verfügbar wiedergefunden und mich direkt in die Abenteuer von Winnetou entführen lassen. Irgendwie war dann der Regenwald wieder etwas erträglicher. Falls noch jemand eine Ferienlektüre sucht, könnte ich “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” nur wärmstens empfehlen. Ich musste in Indonesien beim Lesen durchwegs schmunzeln, vor allem als dann das Buch auch in diesem Land spielte.

Aber zurück nach Herceg Novi in Montenegro. Da dieser Ort in einem Dreiländereck liegt, mieten wir uns ein Auto für eine Kurzvisite nach Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien in einem Tag. Übrigens, die idyllische Stadt Trebinje und das imposante Kotor gefallen uns besser als die Massentourismusdestination Dubrovnik. Danach wenden wir uns südwärts in Richtung Ulcinj, schon fast an der Grenze zu Albanien. Neben dem wunderschönen Sonnenuntergang, den wir vom Balkon unseres Apartments beobachten konnten, ist mir vor allem die Moschee direkt neben dem Bade-Sandstrand aufgefallen. Wir bewegen uns definitiv wieder ostwärts und der Muezzin wird uns in nächster Zeit wieder begleiten.

Übrigens die Hauptstadt von Montenegro heisst Podgorica. Und ich gebe es ja zu, wir wussten es auch nicht bis vor etwa zwei Wochen.

Belgrad rockt

Nach fast fünf Monaten in Südostasien kehren wir der Region nicht ohne Wehmut den Rücken und kehren nach Europa zurück. Warum wir uns spontan entschieden haben, die Balkanstaaten zu besuchen, wissen wir selbst nicht mehr genau. Brauchen wir wieder einmal europäische Kultur (inklusive alkoholische Getränke, Schweinefleisch, Kunst und Architektur) oder wollen wir herausfinden, wo eine der grössten und vorurteilsbehaftetsten Minderheiten in der Schweiz eigentlich herkommt? Jedenfalls könnte der Kontrast zwischen einem abgelegenen indonesischen Strand und der Hauptstadt von Ex-Jugoslawien fast nicht grösser sein.

In Belgrad werden wir von Nemanja, einem Gymer-Kollegen von mir empfangen. Er ist vor einigen Jahren in seine Heimat zurückgekehrt und wohnt nun mit seiner Familie in der Stadt. Er führt uns sogleich in ein traditionelles Kafana aus, wo wir von der reichhaltigen kulinarischen Vielfalt Serbiens fast erschlagen werden. Ohne Kaymak (eine Art leicht fermentierter Rahmkäse), Rakija (dem lokalen Obstbrand in vielen Varianten) und viel Fleisch kommt jedenfalls kein anständiges traditionelles Mahl aus. Nemanja bietet sich auch gleich als wandelnder Reiseführer für die ganze Region an und lässt uns in die legendäre serbische Gastfreundschaft eintauchen. Wir mieten uns in einem kleinen Apartment ein und beschliessen ein paar Tage in der Stadt zu bleiben, da wir wieder aufnahmefähig sind für klassische Sehenswürdigkeiten wie Kirchen, Festungen, Museen und ein bisschen Ostalgie.

Per Velo lässt sich die Stadt ideal erkunden; der vielleicht nicht unbedingt vorbildliche serbische Fahrstil kommt uns nach Indonesien ziemlich zahm vor. Unsere leicht alternative Velotourführerin war früher auch Guide für Nightlife Touren (die sie jedoch mangels Trinkfestigkeit aufgeben musste) und somit stauben wir noch ein paar gute Tipps ab. Bald finden wir auch heraus, wie das Bussystem in Belgrad (nicht) funktioniert. Am meisten geniessen wir in diesen Tagen die lebhafte und kreative Kunst- und Kulturszene, die vielen kleinen Cafés und Restaurants und das attraktive Nachtleben mit mehr Livebands in einem Belgrader Strassenblock als in ganz Zürich. Belgrad rockt wirklich.

Komfort in Komodo

Nach fast drei Wochen am Strand von Bira können wir uns doch noch über das nächste Ziel einigen: Nach intensiven Diskussionen mit anderen Reisenden verschieben wir die weitere Erkundung von Sulawesi in die Zukunft und brechen Richtung Flores auf. Da die Fähre einmal pro Woche direkt von Bira ausläuft, ersparen wir uns so weitere Flüge und mühsame Überlandfahrten. Die fast zweitägige Überfahrt auf der öffentlichen Fähre von Sulawesi nach Flores spornt zudem unseren etwas bequem gewordenen Abenteuergeist an. Als wir vor Mitternacht das grosse Boot besteigen, sind wir zuerst etwas geschockt: Es hat ein paar Plastikstühle und rundherum liegen die Leute am Boden. Elvis, bei dem wir in Bira im Turm schlafen durften, gab uns den Tipp, die Kabine eines Schiffsoffiziers zu ergattern (gegen ein anständiges Trinkgeld). Einige freundliche Mitreisende machen uns jedoch auf die “Exekutif”-Klasse aufmerksam, wo man die Rücklehnen herunterlassen kann. Für knapp zwei Franken Aufpreis ergattern wir uns dort die letzten beiden Sitze und bald ist auch in dieser Klasse der Fussboden voll besetzt. Auf unseren Stühlen überleben wir die wellige Fahrt dann aber bequemer als befürchtet. Um vier Uhr morgens laufen wir in Labuan Bajo vor den Toren des berühmten Komodo Nationalparks ein und schlagen hier unsere Zelte auf.

Der Komodo Nationalpark bietet neben den Komodo Waranen eine vielfältige Unterwasserwelt; viele sprechen von den besten Tauchgründen ganz Indonesiens. Kurzentschlossen steigen wir auf das nächste Tauchboot und erkunden den Park zwei Tage lang unter der Wasseroberfläche auf einem sogenannten “Liveaboard”. Die Tauchgänge bieten viel Fisch, weite und unverbombte Korallengärten (Dynamitfischen ist hierzulande ein riesiges Problem) und eine imposante Insellandschaft. Allerdings muss man anmerken, dass sich das Tauchen in Bira, wenn auch teilweise herausfordernd, gegenüber Komodo überhaupt nicht verstecken muss. Meine Seekrankheitsaffinität hat sich bei den beiden längeren Bootsfahrten übrigens nur einmal kurz bemerkbar gemacht. Ich hatte aber glücklicherweise nur den Morgenkaffee im Magen.

Neben dem Tauchen freuen wir uns in Labuan Bajo auch wieder einmal über ein bisschen touristische Infrastruktur. In ein paar Tagen wird hier anlässlich des bevorstehenden Präsidentenbesuchs die neue Landebahn auf dem kleinen Flugplatz eröffnet. So ein Besuch macht aus den örtlichen Bauarbeitern plötzlich fleissige Bienlein: So wird Tag und Nacht an der Hafenpromenade gearbeitet nachdem zwei Jahre praktisch nichts geschehen ist. Und in der beschaulichen kleinen Bucht tummeln sich mittlerweile sieben Kriegsschiffe. Mit der neuen Landebahn wird der Ort nun definitiv auf dem indonesischen “Banana Pancake Trail” Java-Bali-Lombok landen. Aber alles hat auch seine guten Seiten: Labuan Bajo verfügt zwar noch über ein bisschen gemütliche Hafen- und Fischerdorf-Atmosphäre, verwöhnt uns daneben aber mit Annehmlichkeiten wie Internet, WC-Spülung, warmer Dusche und gutem (!) italienischen und griechischen Essen. Und wir finden sogar ein Weingeschäft. Paradoxerweise holt sich Anne hier noch eine Lebensmittelvergiftung, nachdem wir vorher wochenlang unter sehr einfachen Verhältnissen gelebt haben.

Jedenfalls geniessen wir in Labuan Bajo auf Flores unsere letzten Tage in Südostasien bevor wir mit einem handgeschriebenen Flugticket via Kuala Lumpur Richtung Belgrad aufbrechen wollen. Von dort aus startet unsere Balkan-Tour.

Bira: Freedom to stay

What do we need after 3 intense weeks in Kalimantan? A place to rest, enjoy and socialize. We hoped to find this on Sulawesi a crazy shaped island in Indonesia. We are arriving in the small village called Bira after about 6 hours of Indonesian style driving in a shared taxi. We are excited to see the white sand beach. But what a first impression! The beach is covered with small shops, a lot of plastic and rubbish. We look at each other and think how fast can we leave this place. But then we walk a bit further on the beach and realize that at low tide we can walk for about 3 km and find nice spots all to ourselves, there is shade and at the far end they even left the palm trees standing. Definitely not so bad after all. Actually at second sight it becomes a dream beach.

Soon we get to know all the other travellers and many locals in the small village and we really enjoy the company. At the weekends it gets crowded when the locals from Makassar spend their time here. For reasons we haven’t really figured out everyone wants to take a picture with the western tourists. I guess it is payback time for us western tourists who often want to take pictures of locals.

Bira also offers some great diving which we explore after a couple of days of rest. During my first dive here I dive deeper than 30 metres for the first time. At a depth of 39 metres it is darker, I cannot see the surface. My thoughts start to trail away to what would happen if I don’t feel well as there is no way to go up quickly without serious consequences. But once I have adjusted I can enjoy the sea snake, white tip sharks, napoleon fish and other great sights. Theo makes sure that I do the extra stops that his computer tells him to do as we go into decompression mode.

There is a second dive school run by a German called Elvis to which we change after a couple of dives. He has a resort built a bit like a castle 3 km away from the village right on the nicest part of the beach. He also built a small open air tower with a good view of the beach. When we are there to talk to him he says that we need to go and have a look a the tower. Then he says that he has had guests that wanted to sleep in the open air platform of the tower. All of these guests came from Switzerland. When we see the tower we look at each other and think we should continue that tradition. Elvis provides us with thin mattraces, we bring our moscito net and we have a romantic place to stay.

Initially we only intended to stay in Bira a couple of days. But we like it so much that we don’t want to leave. After almost 2 weeks in a guesthouse with friendly owners we change for the tower instead of leaving for a new place. We have a nice beach, good diving, decent food and interesting people to meet. There is a luxus resort with an infinity pool that we found out we are allowed to use if we buy something in the restaurant. Another nice treat in this fisher village. What else do we need?

Cross Borneo Trek: Das Dschungeltagebuch (Teil 2)

DISCLAIMER: Entgegen dem allgemeinen Stil dieses Blogs wird auch der folgende Beitrag episch ausfallen. Der Leser sei gewarnt.

Tag 9: Dschungelromantik (Fortsetzung)

Wir haben uns zwar nie wirklich Hoffnungen gemacht, aber es soll hier nochmals klar gesagt werden: Dieses Unternehmen ist keine Wildtiersafari. Wir haben zwar viele Krabbeltierchen gesehen, doch die Begegnung mit Reptilien, kleinen Säugetieren oder gar Wildkatzen ist enorm unwahrscheinlich. Dafür müsste man in der Nacht pirschen (viel Spass!), in einen Nationalpark gehen oder besser noch: Den Zoo besuchen. Das einzige höher entwickelte Lebenwesen (neben den Flussfischen) entdecken wir an diesem Morgen: Das Stachelschwein liegt friedlich am Flussufer. Seine Gedärme liegen knapp einen Meter daneben. Wie kam es dazu? Der Träger Doko hat die seltsame Angewohnheit nicht unter der Plache im Lager, sondern am steinigen Ufer des Flusses zu übernachten. Diese Nacht wurde er von besagtem Stachelschwein überrascht und haut diesem kurzentschlossen seine Machete ins Genick. Wir kommen davon nichts mit, obwohl sich die Szene nur etwa fünf Meter von unserem Zelt abspielt, die Geräuschkulisse des Dschungels überdeckt solche Aktionen. Warum er das Tier umgebracht hat, bleibt für uns etwas nebulös: Man könne es nicht essen und es sei kein gutes Tier oder so, meint Doko. Habe ich da etwas falsch verstanden? Man kann es NICHT essen? Na gut. Und ich habe mich so auf eine schöne Grillade gefreut.

Meine Schuhe flicke ich diesen Morgen mit einem dicken Gummiband. Das wird den ganzen Dschungeltrip hindurch halten, nur muss ich es etwa jede halbe Stunde wieder an die richtige Stelle ziehen. Besser als barfuss gehen. Das Gelände ist heute wieder schwierig, es geht über grosse glitschige Steine im Fluss. Unsere Begleitcrew scheint es eilig zu haben und läuft weit vorne weg. Bald sind sie ausser Sicht und wir müssen uns den Weg alleine suchen. Meistens wird nun Anne vorausgehen und spielt sozusagen den Guide. Als wir unseren eigentlichen Guide Kiswono darauf ansprechen, reagiert er mit Unverständnis (was ist eigentlich die Aufgabe eine Guides?). Er hat schlicht zu wenig Energie um beim Cross Borneo Teilnehmer und auch noch Guide zu sein. Seine Rolle beschränkt sich hauptsächlich aufs Kochen und Hilfe bei der Organisation der Transporte. Diese Expedition ist eine Nummer zu gross für ihn als Guide. Doch wer würde das je zugeben? Der Träger Amin läuft dann jedenfalls wieder mit uns und sein Vater Doko sucht den Weg. Kiswono trägt seinen Rucksack. Vernünftige Infos über den Weg können wir ihm schon lange nicht mehr entlocken. Auf die Frage, wie lange es zum nächsten Camp sei, antwortet er abwechselnd mit “Wir stellen dann das Zelt um 17 Uhr auf” oder einer willkürlichen Stundenangabe. Überdies zweifeln wir daran, dass wir auf dem eigentlichen “Müller Trail” sind. Der Pfad wird nämlich immer schwieriger, wir stürzen auch mal, ich falle mit meinem Steissbein auf eine Wurzel. Das tut richtig weh. Wir können uns kaum vorstellen, dass das französische Paar (um die 60), das wir vorgestern getroffen haben, diesen Weg genommen hat. Kiswono meint, früher sei der Weg besser gewesen.

Einen Lagerplatz erreichen wir den ganzen Nachmittag nicht. Kurz bevor es dunkel wird, beschliessen wir direkt am Fluss auf einer Sandbank das Camp aufzuschlagen. Das ist nicht ungefährlich, wenn man die möglichen plötzlichen Pegeländerungen des Flusses bedenkt. Es wird ein Notfallszenario besprochen. Wir schlafen mit allen Sachen gepackt und ohne Schlafsack, damit wir sofort aufstehen und die Böschung rauflaufen könnten. Doko schläft wie gewohnt am Flussufer, damit haben wir einen guten Pegelwachhund. Was uns etwas beunruhigt: Unsere drei hellsichtigen Kompagnons sagen heftigen Regen voraus, was sie anhand der Bewegung der Wolken zu wissen glauben. Bald beginnt es tatsächlich zu regnen. Ich wasche gerade meine Socken im Fluss und fluche innerlich. Auf den zweiten Blick finde ich jedoch die Situation ganz beschaulich: Mitten im Dschungel wasche ich meine Kleider im Fluss bei Regen. Nass bin ich sowieso. Der Regen dauert nur eine Viertelstunde.

Dann machen wir uns wieder hinter unseren Privatvorrat und knabbern Biskuits und Erdnüsse. Die Moral steigt. Mir geht es körperlich wieder viel besser, keine Erschöpfung mehr nach den Märschen, der Durchfall hat sich auch verringert (war es Giardiasis?). Dann trinken wir Tee und essen auf einem Baumstamm direkt am Fluss. Über uns ein prächtiges Sternenfirmament, wir sehen viele Sternschnuppen. Wir errinnern uns, dass im Moment die Leonidenschwärme zu sehen sein sollten. Die mondlose und absolut lichtemmissionenfreie Sicht aus dem tiefsten Dschungel von Borneo ist ideal. Romantik pur. Kiswono, unser Guide, meint, dass wir noch unseren Kindern und Grosskindern von diesem Abenteuer erzählen werden. Die Armen.

Tag 10: Kleine Schocks, grosse Flussdurchquerungen und Abwege

Der sechste Tag im Zelt beginnt mit einem Schock: Als wir erwachen, ist Annes Fuss blutüberströmt wie nach einem Unfall. Der Fall ist schnell geklärt, der Täter sitzt unweit davon fettgesogen in einer Ecke des Zeltes. Das Antigerinnungsmittel hat dazu geführt, dass Anne nach dem Egelbiss die halbe Nacht weitergeblutet hat. Das Blut hat eine ungewohnte Konsistenz: Statt zu klumpen ist es getrocknet und sieht aus wie eingetrocknete Wasserfarbe oder Nagellack. Das macht den Anblick schlimmer und erinnert wirklich an ein gespieltes Unfallopfer mit künstlichem Filmblut aus den achtziger Jahren. Wir finden noch zwei weitere Blutegel im Zelt und fragen uns, wie die hereingekommen sind. Glücklicherweise haben diese beiden Biester nicht zugebissen.

Es hat übrigens diese Nacht nur etwa eine halbe Stunde leicht geregnet. Unsere Begleiter sollten ihr Talent als Wetterfrosch noch einmal überdenken. Das Zelt hat trotzdem reingetropft. Der Flusspegel ist aber um 20 cm gesunken. Ein gutes Omen, denn heute steht die grosse Flussüberquerung bevor. Wir haben langsam eine Morgenroutine entwickelt und brechen bald auf. Zuerst geht es dem Fluss entlang, dann bahnen wir uns den Weg mit der Machete durch den Dschungel und erreichen irgendwann einen fast zugewachsenen und kaum sichtbaren Trampelpfad. Dann kommt Schock Nummer zwei und ich wäre fast reingestolpert. Über den Weg hängt ein riesiges Spinnennetz, darin die wohl grösste Netzspinne, die ich je gesehen habe. Das Ding ist handgross mit einem fingerdicken Körper.

Dann wird der Weg besser und wir erreichen den grösseren Bungan Fluss. Dort treffen wir auf eine kleine Grupper Einheimischer, die nach traditioneller Methode Gold schürfen. Das erste Zeichen von “Zivilisation” seit langem. Die grosse Flussquerung wird harmloser als erwartet. Der Fluss ist zwar fast 50 m breit, aber das Wasser reicht nur bis zur Hüfte. Wir hatten uns psychologisch auf Schwimmen vorbereitet. Auf der anderen Seite ist ein Lagerplatz genannt “Baraka”. Wir erfahren, dass Amin hier geboren wurde, als seine Eltern hier einige Zeit in einem permanenten Zelt wohnten. Der Ort ist schön und offen über dem Fluss gelegen; wir machen hier eine lange Mittagspause.

Beim Weiterlaufen muss ein weiterer Ausrüstungsgegenstand das Zeitliche segnen: Annes Hosen reissen. Notdürftig wird mit Klebeband geflickt, am Abend dann so gut es geht genäht. Meine Schuhe halten übrigens tapfer durch, obwohl die vordere Hälfte praktisch offen ist. Der Weg führt uns jetzt vor allem durch Sumpf und Schlamm, ich muss aufpassen, dass ich meine Schuhe nicht verliere. Es geht aber ordentlich voran. Wir kommen zu einer Stelle, wo die Wurzeln eines umgefallenen Baumes einen fast 10 m grossen Krater ins Erdreich gerissen haben. Doko zögert, geht dann aber entschlossen weiter. Zwei Stunden später kommt die Hiobsbotschaft: Wir sind auf dem falschen Weg und müssen zurück zum Wurzelkrater. Die Motivation sinkt ins Bodenlose. Wir haben den Eindruck, dass wir seit dem Grenzstein zu Westkalimantan (eigentlich schon vorher) seltsam verschlungene und undurchdringliche Pfaden genommen haben. Wissen unsere Begleiter, was sie tun? Kiswono und Doko sind beide vor vier Jahren das letzte Mal den Müller Trail gelaufen. Hätten wir da vorher misstrauisch werden sollen? Waren wir fahrlässig? Sie fragen, ob wir zurück zu Baraka gehen wollen oder weiter. Wir wollen weitergehen.

Nach einiger Zeit queren wir wieder den grossen Bungan Fluss und finden dort ein Nachtlager. Alle haben heute kleine schmerzende Löcher in der Haut der Fusssohle. Gemäss Kiswono handelt es sich um sog. “Waterbugs” (“that’s how we call them in Indonesia”), Bakterien, die sich in stehenden Gewässern des Regenwalds tummeln. Die Sumpfdurchquerungen lassen grüssen. Unseren Füssen ging es bis jetzt eigentlich ganz gut. Als Anne mal Probleme mit Druckstellen hatte, habe ich ihr meine super Blacksocks geliehen (ja, diese Business Socken sind auch im Dschungel zu empfehlen). Wir nerven uns immer noch über die Tatsache, dass unser Guide keine Ahnung vom Weg hat. Einmal sagt er, wir würden unser Ziel Tanjung Lokan bereits morgen erreichen, dann geht es wieder zwei Tage. Anne nervt sich noch mehr als ich darüber, dass wir entweder gar keine brauchbaren oder ständig wechselnde Infos über den Weg kriegen. Wir ziehen uns früh ins Zelt zurück, essen unsere letzten Biskuits und Erdnüsse und basteln eine Elektrolytlösung. Wir haben heute zu wenig getrunken. Die Moral ist schlecht. Die schmerzenden Füsse machen die Sache nicht besser. Vitamerfen schafft ein bisschen Abhilfe.

Tag 11: Sind wir schon da?

Ein kleiner Funken Hoffnung besteht noch, ich will heute ankommen. Ich stehe um sechs Uhr auf, packe die Sachen, hole Wasser, mache alles parat. Die Gruppe ist aber weniger enthusiastisch, es geht langsam voran und wir brechen erst nach acht Uhr auf. Der Weg wirkt wieder improvisiert, einmal den rutschigen Felsen am Flussufer entlang, einmal quer durch den Dschungel ohne Pfad mit Machete, über viele umgestürtzte Bäume. Bald erreichen wir eine kleine Lichtung am Fluss. Vor uns ragt plötzlich eine senkrechte Felswand wohl mehr als hundert Meter aus dem dichten Dschungel. Ein imposanter Anblick und eine idealer Orientierungspunkt denken wir uns. Falsch gedacht. Wir kriegen immer noch keine brauchbaren Infos über den Weg. Annes Motivation ist auf dem Tiefpunkt. Ich stelle auf Schafsmodus. Die meisten Schweizer haben diese fatalistische Haltung in der Rekrutenschule gelernt. Man kennt die Situation: Der Zugführer kann nicht Kartenlesen, stolpert unbeholfen durch die Gegend, würde das aber nie zugeben und schon gar nicht Hilfe von einem einfachen Rekruten annehmen. In solchen Situationen muss man sämtliche intellektuellen Anfälle und die gutgemeinten Zweifel, die einem im Leben weiterbringen sowie jegliche intrinsische Motivation abstellen und mitlaufen. Nach einer Weile im Schafsmodus stellt sich eine wohlige Zufriedenheit ein. Man würde der Herde wohl lemminggleich über die Klippe folgen (gibt es psychologische Arbeiten zu diesem Thema?). Anne wird diese grossartige Errungenschaft des (Schweizer) Militärs hoffentlich auch noch für sich entdecken.

Es geht weiter durch dichten Wald, Sumpf und Schlamm ohne vernünftigen Weg. Die meiste Zeit muss ich gebückt laufen, weil der “Pfad” so überwachsen ist. Unzählige Male machen wir einen “small break”, weil Doko und Kiswono keine Ahnung haben, wo es langgeht und diskutieren müssen. Zu Mittag erreichen wir eine kleine Wiese, es soll sich um den Lagerplatz “Tolo” handeln. Ab hier gäbe es kaum mehr Wasser, weshalb unser Guide bereits das Nachtlager aufschlagen will. Dann entdeckt man, dass “Tolo” doch noch nicht hier ist. Das wahre “Tolo” erreichen wir eine Stunde später. Der Platz gleicht tatsächlich der vorherigen Wiese mit dem kleinen Unterschied, dass grad nebenan ein Riesenfels aus dem Dschungel herausragt. So ein Hundertmeterfels ist ja auch leicht zu übersehen (oder einzubilden)… Im Felsen hoch oben befinden sich Höhlen mit Schwalbennestern, die früher teuer als Delikatesse nach China verkauft wurden. Da die Preise vor ein paar Jahren eingebrochen sind, lohnt sich dieses Geschäft nicht mehr und die Pfade zu den Felsen werden kaum mehr begangen, sind enorm verwachsen. Wir verlieren also wieder einen halben Tag und werden heute definitiv nicht ankommen. Obwohl wir unseres Erachtens mindestens einen halben, wenn nicht einen ganzen Tag rausgeholt haben, wurde dieser Vorsprung durch die Navigationskünste unserer Begleiter wieder eliminiert.

So verbringen wir den halben Nachmittag bereits im Nachtcamp, waschen uns und desinifizieren die Füsse (auch heute gab es wieder Schlammbakterien). Ich liege in der Sonne und habe trockene Füsse. Das ist in meiner relativen Luxusskala im Moment wie Spa und Fussmassage. Ansprüche senken statt Standard erhöhen ist günstiger und das grössere Erlebnis. Daran ändert auch ein weiterer Bienenstich nichts. Die Nacht beginnt mit Glühwürmchen und lautem Zirpen der Grillen. Bald stellt der Regen beides ab. Ich schlafe wieder in einer Pfütze und werde angetropft. Auch das gehört schon fast zur Routine.

Tag 12: Die Ankunft

Es ist der achte Tag zu Fuss durch den Regenwald von Borneo. Es soll der letzte Tag im Dschungel werden und dennoch ist die Motivation mässig hoch. Die Füsse schmerzen langsam ziemlich stark, die Umwege schlagen auf die Moral und wir sind etwas abgemattet von den Regennächten im undichten Zelt. Der Weg geht wie gewohnt durch rutschige Bachbette, Schlamm und undurchdringlichen Wald. Kiswono ist sichtlich erschöpft und will jede Viertelstunde eine Pause machen. Doko findet den Weg mehr schlecht als recht. Wir erreichen den letzten Aufstieg neben riesigen, tropfenden Kalksteinmonolithen. Oben fressen sich grosse Höhlen in die Steinriesen.

Danach führt der Weg in dichte Bambuswälder und mündet unverkennbar in Sekundärwald. Das nächste Dorf kann also nicht weit weg sein. In einem kleinen Waldabschnitt mit Bach nehmen wir das letzte Dschungelmittagsmahl ein. Der Guide meint, wir sollen nochmal alle Flaschen auffüllen, denn wir werden das Dorf erst am späten Abend erreichen. Kurz nachdem wir den letzten Marsch antreten, treffen wir auf eine Gruppe Einheimischer in einem Boot. Ich weise Kiswono darauf hin, dass er diese nach dem sogenannten “Bobo” fragen soll, eine lokale Attraktion in Form eines riesigen Felsens, von welchem wir gehört haben. Ich besprach das schon vorher mit ihm, er hatte leider keine Ahnung wovon wir sprachen. Bei diesem Hinweis dreht Kiswono völlig unerwartet durch: Er schreit rum wie ein fünfjähriges Kind, dass wir keine Zeit haben und jetzt das Dorf erreichen müssen und nach besprochenem Programm gehen müssen (welches wir noch nie eingehalten haben). Die Situation ist eher lustig, nach indonesicher Mentalität hat der Guide vollständig sein Gesicht verloren. Die beiden Träger werden ihn ab jetzt kaum mehr beachten. Wir bleiben ruhig und sagen, das wir anderer Meinung sind, aber hier wohl kaum der rechte Ort und die rechte Zeit ist, das zu besprechen. Der arme Kerl ist völlig am Ende.

Eine halbe Stunde später kommen wir zu einer kleinen Brücke und stehen plötzlich im kleinen Dschungelkaff Tanjung Lokan am Ufer des Kapuas Flusses. Es ist kaum 14 Uhr und wir sind absolut überrascht von dieser frühen Ankunft. Mit den Trägern machen wir Ankunftsfotos und gratulieren einander. Die paar Holzhäuser liegen friedlich auf einer kleinen gerodeten Fläche am Flussufer. “Friedlich” ist wohl die beste Beschreibung des Dorfes und unseres momentanen Zustandes. Wir sind weniger erleichtert oder überwältigt, als eingenommen von einem Gefühl von Friedlichkeit. Ein Einheimischer, der in seinem Vorgarten ein Kanu schnitzt, lädt uns in sein Haus ein und wir trinken Tee. Langsam begreifen wir, dass wir es geschafft haben. Bis wir es richtig realisieren, wird es jedoch noch Tage oder gar Wochen dauern. Kleinlaut kommt Kiswono zu uns und entschuldigt sich für seinen kindlichen Ausraster. Er zeigt sein GPS und den Weg, den wir zurückgelegt haben. Es waren nur um die 100 km ziemlich gerade von Osten nach Westen. Von jetzt an hat er den Weg aufgezeichnet und kann nach GPS gehen (aber ob das wirklich der “Müller Trail” ist?). Dann waschen wir zum letzten Mal Kleider und Körper im Fluss, es hat kein fliessendes Wasser im Dorf. Unseren in Balikpapan gekauften Schlafsack Marke “Eiger” schenken wir Amin, der daran enorme Freude hat.

Wir werden am Boden im Haus des besagten Einheimischen übernachten. Um vier Uhr nachmittags gibt es ein frühes Abendessen: Reis und Nudeln mit Büchsenrindfleisch (Corned Beef) und Büchsensardinen. Ein Festmahl. Ich esse für drei Personen und fühle mich wie Gott in Frankreich. Noch heute träume ich von dieser Mahlzeit. Subjektiv eine der besten der ganzen Weltreise. Dann sitzen wir zusammen auf der Terrasse des Holzhauses, eines der schönsten des Dorfes und das einzige mit Generator. Der Eigentümer zeigt uns eine kleine Ampulle mit Gold, das er geschürft hat. Er ist zwar nicht der Häuptling, aber der reichste Mann im Dorf. Reich geworden sei er durch Gold- und Treibstoffhandel. Als es stark zu regnen beginnt, verzieht sich die Gesellschaft nach innen und drei Generationen mit Gästen schauen zusammen Kinderfernsehen. Wir erfahren auch, dass das Religionsministerium entschieden hat, dass morgen die Mondsichel genügend sichtbar ist um den Ramadan zu beenden. Die Nacht auf dem Fussboden ist komfortabel: Draussen tobt der Regen, es tropft zwar auch hier ein bisschen herein, aber dem kann man viel einfacher ausweichen als im Zelt. Wir schlafen wie Babies.

Tag 13: Die letzte und schönste Flussfahrt

Nach dem Frühstück verabschieden sich die Träger sang- und klanglos. Sie werden den Weg zu Fuss zurückgehen in ihr Dorf Tiong Ohang.

Der Kapuas Fluss führt nach der Regennacht ziemlich viel Wasser. Unser Guide ist besorgt, dass der Pegel zu stark ansteigen könnte und wir nicht mehr durch die Stromschnellen kommen. Der einzige Weg weg von Tanjung Lokan führt über den Fluss, keine Strasse erstreckt sich so weit in den Dschungel hinein. Bald kriegen wir Nachricht, dass die Stromschnellen im Moment noch passierbar seien und wir beschliessen sobald als möglich weiterzureisen. Unser Gastgeber bietet sein eigenes Boot an. Kurz darauf kommen aus allen Richtungen Leute und bringen Briefe und Einkaufslisten vorbei für das Boot, das in die “Stadt” fährt. Bereits nach neun Uhr sitzen wir bequem im mittelgrossen Kanu. Die Fahrt wird enorm schön und entspannt durch den wilden Dschungel führen. Wir werden ab und zu mal nass, bei den grossen Stromschnellen müssen wir aussteigen und 200 m dem Flussufer entlang klettern. Das Boot stürtzt sich waghalsig in die Waschmaschine, kommt aber unbeschadet wieder heraus. Der Kapuas ist deutlich weniger befahren und seine Ufer weniger bewohnt als der Mahakam. Allgemein ist der Westen (noch) weniger entwickelt als der Osten von Kalimantan.

Um circa 13 Uhr halten wir an einer der spärlichen Siedlungen und versuchen Essen und Treibstoff aufzutreiben. Es hat zwar kein Rumah Makan, kein Restaurant im Dorf, aber wir werden in einem Haus von einer ganzen versammelten Gesellschaft empfangen. Wir erinnern uns: Es ist Idul Fitri, das Zuckerfest zum Ende des Ramadan, wo sich die Familien versammeln. Gäste und insbesondere die seltenen Buleh (Weisse) werden mit offen Armen empfangen und mit süssen Biskuits und weiteren traditionellen Speisen versorgt. Nach vielem Händeschütteln und zahlreichen Fotos geht unsere Fahrt weiter.

Fast bis zur kleinen Stadt Putussibau wächst Primärwald an den Ufern. Erst kurz vor der Stadt lichten sich die Ufer etwas. Einen halben Kilometer vorher geht uns das Benzin aus, das nenn ich mal knapp kalkuliert. Die letzten Meter werden gerudert, es geht ja stromabwärts. Wir nehmen die erste Anlegestelle, organisieren uns Motorradtaxis und fahren zum einzigen Hotel im Ort. Die erste Dusche seit Samarinda fühlt sich sehr gut an, auch ohne Warmwasser. So sauber waren wir schon lange nicht mehr. Unsere feuchten Klamotten verbreiten einen herben Modergeruch im Zimmer. Wir freuen uns aufs Abendessen, finden aber bald heraus, dass wegen Idul Fitri praktisch alles geschlossen ist. Nur eine Essmöglichkeit ist offen: “Suga Chicken”, ein lokaler, schlechter Abklatsch eines KFCs. Ich überesse mich mit Ayam Goreng (fritiertes Poulet) und habe noch lange danach einen enormen Klumpen im Bauch.

Tag 14: Zurück in der Zivilisation?

Ein freier Tag in Putussibau. Weil immer noch Idul Fitri ist, müssen wir alle Mahlzeiten im Suga Chicken einnehmen. Die Stadt (eher ein grosses Dorf) bietet nicht viel. Nach einem Entdeckungsspaziergang haben wir überhaupt nichts Sehenswertes entdecken können. Praktisch alle Läden und Lokale sind geschlossen. Am Abend werden zu Idul Fitri Feuerwerke abgebrannt.

Immer mehr realisieren wir, dass wir es geschafft und den Cross Borneo Trek unbeschadet überstanden haben. Die Füsse sind seit fast 24 Stunden trocken und die kleinen Löcher in der Fusssohle zeigen erste Anzeichen von Heilung. Anne und ich sind stolz, dass wir die Durchquerung von Borneo als Team gemeistert haben und uns gegenseitig motivieren und helfen konnten.

Tag 15: Es ist noch nicht vorbei

Wir packen und putzen noch ein paar letzte Ausrüstungsgegenstände. Nach einem weiteren Mittagessen im Suga Chicken mit einer Stunde Wartezeit (es sollte sich doch hier um fast food handeln…), brechen wir auf vier Rädern auf Richtung Pontianak. Die Fahrt soll um die 18 Stunden dauern.

Nach wenigen Kilometern weicht die Strasse einer kleinen, dünnen Serpentine mit einer Neigung von mindestens 10 %, auf und ab. Zuerst fehlen Stücke des Belags, dann zeigen sich riesige Schlaglöcher und irgendeinmal erinnern seltene verstreute Brocken Asphalt noch vage daran, dass es hier einmal eine Strasse gegeben hatte. Nach zwei Stunden ist uns beiden übel. Der Fahrer fährt wie vom Affen gebissen und mit den fahrerischen Fähigkeiten eines Zwölfjährigen. Wir haben einen Fast-Zusammenstoss mit einem Lastwagen. Nach einigem Insistieren drosselt er das Tempo für knapp eine halbe Stunde, aber es ist zu spät: Mein Mageninhalt drängt sich in Viertelstundenabständen nach oben. Wir sind erst zweieinhalb Stunden unterwegs, das kann ja heiter werden. Und ich dachte, wir hätten die Durchquerung praktisch überstanden. Nach endlosen und qualvollen Stunden des Leidens und der Übelkeit legen wir einen Abendessenstopp ein. Obwohl ich nichts essen oder trinken kann, beruhigt sich der Magen in dieser Stunde ohne auf und ab, links und rechts, bremsen und beschleunigen. Halb liegend auf der Rückbank und mit geschlossenen Augen werde ich die Fahrt knapp überstehen. Mit dem Kopf stosse ich alle paar Minuten schmerzhaft an die Autotür, aber dieser Schmerz schafft ein wenig Ablenkung.

Mittlerweile haben sich unsere Bremsen verabschiedet, was die Geschwindigkeit ein bisschen reduziert. Unser Fahrer steigt aber nicht auf Motorenbremse um (das hatten wir in Laos schon erlebt), sondern bedient sich der Handbremse. Es ist erstaunlich, das er damit überhaupt einen Bremseffekt erreicht, bei neueren Modellen würde das kaum funktionieren. Unter den gegebenen Umständen stellt sich unser Fahrer nun gar nicht so dumm an, aber auch der stärker werdende Verkehr hindert ihn an zu schnellem Fahren. Wir ignorieren den Sicherheitsaspekt dieser halsbrecherischen Handbremse-Methode und hoffen bald anzukommen.

Tag 16: Ein etwas anderer Geburtstag (ja, diesen Titel hatten wir schon einmal)

Um vier Uhr morgens treffen wir in Pontianak ein. Die letzten zwei, drei Stunden fuhren wir wieder auf einer richtigen Strasse und konnten noch ein bisschen schlafen. Nun haben wir es wirklich überstanden, haben Borneo von Ost nach West mehr oder weniger dem Äquator entlang durchquert. Wir schlafen noch ein bisschen in der Hotellobby und können irgendwann nach sechs Uhr früh ins Zimmer einchecken. Wir nehmen unser restliches Gepäck wieder in Empfang, welches wir von Balikpapan hierher geschickt haben. Die warme Dusche spült den letzten Dschungeldreck ab und der Dschungelbart kommt weg. Nach ein paar Stunden Schlaf sind wir wie neu geboren.

Heute ist mein Geburtstag. Er hat zwar unangenehm begonnen, soll aber schön enden. Und er wird mir defintiv in Erinnerung bleiben. Wir schlendern etwas in Pontianak herum. Den Nachmittag verbringen wir an unserem Dachterrassen Pool, der leichte Regen stört uns kaum. Ich lese Nieuwenhuis’ Reiseaufzeichnungen “Quer durch Borneo” und muss feststellen, dass der vor 100 Jahren durchaus besser ausgerüstet war als wir… Im Hotel gibt es Bier und wir können endlich anstossen auf das geglückte Unternehmen. Extra für uns wird im Hotel das Dachterrassenrestaurant geöffnet. Ein romantisches Tête-à-Tête unter Sternenhimmel über den Dächern von Pontianak entschädigt für alle Entbehrungen der letzten Tage. Es ist Sonntag und noch immer werden in der ganzen Stadt zu Idul Fitri Feuerwerke gezündet. Die Aussicht ist magisch, wir geniessen den Luxus in vollen Zügen.

Tag 17: Zurück in der Zivilisation!

Das Frühstücksbuffet ist fantastisch, es hat sogar so etwas wie Zopf. Heute laben wir uns an den kulinarischen Segnungen der Stadt Pontianak und hier kann man wirklich von einer Stadt sprechen ohne Anführungszeichen. Wir sind wieder in der Zivilisation angekommen. Schweren Herzens kaufe ich Ersatz für meine nicht mehr zu rettenden Lieblings-Weltreiseschuhe.

Am nächsten Tag fliegen wir nach Makassar in Sulawesi. Dort wollen wir nachholen, was bisher etwas zu kurz gekommen ist: Strand und Tauchen (Party muss wohl noch etwas warten).