Nein, für einmal liegt es weder an nicht vorhandenem Internet noch kämpfen wir uns durch einen undurchdringlichen Dschungel am Ende der Welt. Obwohl sich viele tausend Kilometer rund um uns herum nur pazifische Wassermassen befinden, verfügt Hawai’i durchaus über (fast) alle zivilisatorischen Annehmlichkeiten. Die längere Sendepause könnte man mit “Weihnachtsferien”, “umgekehrtem Kulturschock” oder “Schirmchendrink-Ablenkung” entschuldigen, doch eigentlich waren wir schlicht etwas schreibfaul. Aber genug der Rechtfertigungen.
Wenn man nach fast zehn Monaten Reise, zu vielen holprigen Busfahrten, schäbigen Unterkünften und knapp essbaren Mahlzeiten ein Land wie Äthiopien besucht, dann kann das einem schon noch die paar letzten Nerven kosten. Wenn man aber von diesem gemäss “Human Development Index” entwicklungsmässigen Schlusslichtland in den hegemonischen Superstaat schlechthin reist, dann spielt man nicht in einer anderen Liga, sondern wechselt die Sportart. Fähigkeiten wie Improvisationstalent, Durchhaltewillen (oder Leidensfähigkeit), Optimismus und Humor rücken in den Hintergrund und zwei andere Variablen werden immanent wichtig: Eine funktionierende Kreditkarte und ein plattenfreies Auto. Alles andere ist nebensächlich.
Ausgerüstet mit beidem landen wir in Kona, einem Ort, der in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Prädikat “touristisch” verdient hätte, dessen Kitsch und Retro-Charme auf uns aber durchaus ansprechend wirkt. Was lässt sich schon gegen ein überdimensioniertes abgewohntes Zimmer mit Meersicht, einen Schirmchendrink im Plastikbecher am Pool, lokal angepflanzten Filterkaffee und eine Auswahl an zehn verschiedenen Burgern einwenden. Zudem gibt es jeden Tag traumhaftes Wetter, denn Kona liegt bezeichnenderweise auf der “Kona-Seite”, das heisst der windabgewandten und regenarmen Seite von Hawai’i.
Ja, wo befinden wir uns denn jetzt genau? Auf Hawai’i. Ja, aber auf welchen Insel? Auf Hawai’i. Seit Kamehameha I. geweissagt wurde, dass er einst über alle Inseln herrschen würde und er diese Prophezeiung unter grossem Blutvergiessen bewahrheitete, wird das ganze Archipel nach der Heimatinsel des ersten hawaiianischen Königs benannt. Das ist wahrscheinlich nicht die offizielle Erklärung, aber meine ganz persönliche Auslegung. Jedenfalls landen wir auf der jüngsten, südlichsten und grossen Insel. Weil die Namensgleichheit der Insel und der Inselkette zu viel Verwirrung stiftet, wird sie heute in gut amerikanischer Art schlicht die grosse Insel “The Big Island” genannt. Bevor wir in Maui einen Freund besuchen wollen, verbringen wir denn nun ein paar vorweihnachtliche Tage auf dieser grossen Insel.
Wider Erwarten setzt uns der Jetlag stark zu. Nach einem Übernachtflug von Addis Abeba mit Aufenthalt in Doha, einem überlangen Tagesflug nach Los Angeles, dem zu erwartenden Verhör am amerikanischen Zoll (das Iran-Visum lässt grüssen) und einer zusätzlichen Nacht ebenda, brauchen wir ein paar Tage Erholung. Und dies lässt sich in Hawai’i zur Genüge finden.
Nach drei Tagen selbst verordneter starker Medizin in Form von Puderzuckerstränden, Comfort-Food und Schirmlidrinks, ist der Jetlag kuriert und wir schauen uns die Insel genauer an. Obwohl einst das politische und kulturelle Zentrum von Hawai’i, tanzt der Bär heute andernorts: Die Touristen reisen nach Oahu und Maui und das Geschäftliche beschränkt sich vorderhand nur auf Oahu (genau, dort liegt Honolulu und der Waikiki Beach). Ersteres mag erstaunen, denn die grosse Insel bietet eine enorme Abwechslung an verschiedenen Klimata, einige Überbleibsel der vormissionarischen (und vor-cookschen) Kultur und ein relativ einfaches Eintauchen ins lokale Leben. So sind wir begeisterte Zuschauer beim dörflichen Weihnachtsumzug (mit obligatem Coca-Cola-Truck) und fast die einzigen nicht-weisshaarigen und nicht-lokalen Groupies bei einem Slack Key Gitarrenkonzert. Und am Ort, wo Captain James Cook sein unglückliches Ende fand, finden wir nach jahrelanger Tauchabhängigkeit endlich wieder Freude am Schnorcheln.
Berühmt ist Hawai’i jedoch vor allem für seinen nach wie vor sehr aktiven Ursprung: Die Vulkane. Nachdem eine hartnäckige Anne und eine Reisewarnung des EDA mich überzeugen konnten, dass der Lavasee in der äthiopischen Danakil-Ebene ohne eigene Armee vielleicht doch kein geeignetes Reiseziel darstellt, freue ich mich natürlich umso mehr darauf, endlich flüssiges Gestein zu sehen. Leider fliesst im Moment keine Lava ins Meer und die beiden einzigen aktiven Austrittsstellen sind wegen giftiger Gase weiträumig abgesperrt. Immerhin sehen wir in der Nacht das immense Glühen des Halema’uma’u Kraters (siehe momentanes Titelbild oder hier) und damit indirekt flüssige Lava. Am nächsten Tag versuchen wir zu Fuss möglichst nahe an den anderen aktiven Spot, den Pu’u O’o, heranzukommen. Über abgekühlte messerscharfe A’a-Lava (ja, das nennt man wirklich so und es hat nichts mit Fäkalien zu tun) und teigige Pahoehoe-Lava führt der Weg von trockener vulkanischer Wüste plötzlich mitten in feuchten tropischen Regenwald. Näher als zu ein paar bizarr anmutenden Lavaskulpturen vor einem rauchenden Krater kommen wir aber auch hier nicht heran. Statt flüssigem Feuer kriegen wir die unbeugsame Natur in Form von noch flüssigerem Nass von oben ab. Nass bis auf die Haut müssen wir feststellen, dass wir auf der ganzen Reise noch nie derart verschifft wurden. Und natürlich verliere ich mitten in der Wildnis noch unseren Hotelschlüssel (der Pfad wird im Durchschnitt nur jeden zweiten Tag von einem Tourist begangen).
Danach besuchen wir den höchsten Berg der Welt, den Mauna Kea. Leider hat irgendein Geologe einmal bestimmt, dass Berge erst ab Meereshöhe gemessen werden, womit nur die obersten 4205 Meter des mehr als 10’000 Meter hohen Vulkans zählen. Das Wetter will uns aber auch weiter nicht hold sein. Obwohl der Mauna Kea seinen berühmten Teleskopen mehr als 300 klare Tage im Jahr verspricht, erreichen wir ihn bei Regen. Dies hat den Vorteil, dass wir praktisch allein sind und nach zwei Stunden ausharren in der eisigen Kälte erhaschen wir doch noch ein paar Blicke auf die Streifen des Jupiters und die riesigen Krater des Mondes. Das regenbringende Tiefdruckgebiet hat übrigens unten an der Küste zu derart hohen Wellen geführt (und wir reden hier in hawaiianischen Dimensionen), dass ein Grossteil der Strände geschlossen werden. Obwohl damit das Schnorcheln mit Mantas ausfällt, können wir über dem Tosen von haushohen Brechern unter Kerzenschein dinieren. Und das eigenwillige Wetter beschert uns den kitschigsten Sonnenuntergang seit langem. So oder so: Die grosse Insel ist definitiv ein Highlight.
Das Wort “Schirmchendrink” ist übrigens in diesem Post nicht vergebens drei Mal vorgekommen. Ich musste Anne in Iran einen solchen versprechen und es hat tatsächlich mehr als zwei Monate bis zur zufriedenstellenden Erfüllung gedauert. Da häufen sich schon mal ein paar Zinsen an.