Komfort in Komodo

Nach fast drei Wochen am Strand von Bira können wir uns doch noch über das nächste Ziel einigen: Nach intensiven Diskussionen mit anderen Reisenden verschieben wir die weitere Erkundung von Sulawesi in die Zukunft und brechen Richtung Flores auf. Da die Fähre einmal pro Woche direkt von Bira ausläuft, ersparen wir uns so weitere Flüge und mühsame Überlandfahrten. Die fast zweitägige Überfahrt auf der öffentlichen Fähre von Sulawesi nach Flores spornt zudem unseren etwas bequem gewordenen Abenteuergeist an. Als wir vor Mitternacht das grosse Boot besteigen, sind wir zuerst etwas geschockt: Es hat ein paar Plastikstühle und rundherum liegen die Leute am Boden. Elvis, bei dem wir in Bira im Turm schlafen durften, gab uns den Tipp, die Kabine eines Schiffsoffiziers zu ergattern (gegen ein anständiges Trinkgeld). Einige freundliche Mitreisende machen uns jedoch auf die “Exekutif”-Klasse aufmerksam, wo man die Rücklehnen herunterlassen kann. Für knapp zwei Franken Aufpreis ergattern wir uns dort die letzten beiden Sitze und bald ist auch in dieser Klasse der Fussboden voll besetzt. Auf unseren Stühlen überleben wir die wellige Fahrt dann aber bequemer als befürchtet. Um vier Uhr morgens laufen wir in Labuan Bajo vor den Toren des berühmten Komodo Nationalparks ein und schlagen hier unsere Zelte auf.

Der Komodo Nationalpark bietet neben den Komodo Waranen eine vielfältige Unterwasserwelt; viele sprechen von den besten Tauchgründen ganz Indonesiens. Kurzentschlossen steigen wir auf das nächste Tauchboot und erkunden den Park zwei Tage lang unter der Wasseroberfläche auf einem sogenannten “Liveaboard”. Die Tauchgänge bieten viel Fisch, weite und unverbombte Korallengärten (Dynamitfischen ist hierzulande ein riesiges Problem) und eine imposante Insellandschaft. Allerdings muss man anmerken, dass sich das Tauchen in Bira, wenn auch teilweise herausfordernd, gegenüber Komodo überhaupt nicht verstecken muss. Meine Seekrankheitsaffinität hat sich bei den beiden längeren Bootsfahrten übrigens nur einmal kurz bemerkbar gemacht. Ich hatte aber glücklicherweise nur den Morgenkaffee im Magen.

Neben dem Tauchen freuen wir uns in Labuan Bajo auch wieder einmal über ein bisschen touristische Infrastruktur. In ein paar Tagen wird hier anlässlich des bevorstehenden Präsidentenbesuchs die neue Landebahn auf dem kleinen Flugplatz eröffnet. So ein Besuch macht aus den örtlichen Bauarbeitern plötzlich fleissige Bienlein: So wird Tag und Nacht an der Hafenpromenade gearbeitet nachdem zwei Jahre praktisch nichts geschehen ist. Und in der beschaulichen kleinen Bucht tummeln sich mittlerweile sieben Kriegsschiffe. Mit der neuen Landebahn wird der Ort nun definitiv auf dem indonesischen “Banana Pancake Trail” Java-Bali-Lombok landen. Aber alles hat auch seine guten Seiten: Labuan Bajo verfügt zwar noch über ein bisschen gemütliche Hafen- und Fischerdorf-Atmosphäre, verwöhnt uns daneben aber mit Annehmlichkeiten wie Internet, WC-Spülung, warmer Dusche und gutem (!) italienischen und griechischen Essen. Und wir finden sogar ein Weingeschäft. Paradoxerweise holt sich Anne hier noch eine Lebensmittelvergiftung, nachdem wir vorher wochenlang unter sehr einfachen Verhältnissen gelebt haben.

Jedenfalls geniessen wir in Labuan Bajo auf Flores unsere letzten Tage in Südostasien bevor wir mit einem handgeschriebenen Flugticket via Kuala Lumpur Richtung Belgrad aufbrechen wollen. Von dort aus startet unsere Balkan-Tour.

Bira: Freedom to stay

What do we need after 3 intense weeks in Kalimantan? A place to rest, enjoy and socialize. We hoped to find this on Sulawesi a crazy shaped island in Indonesia. We are arriving in the small village called Bira after about 6 hours of Indonesian style driving in a shared taxi. We are excited to see the white sand beach. But what a first impression! The beach is covered with small shops, a lot of plastic and rubbish. We look at each other and think how fast can we leave this place. But then we walk a bit further on the beach and realize that at low tide we can walk for about 3 km and find nice spots all to ourselves, there is shade and at the far end they even left the palm trees standing. Definitely not so bad after all. Actually at second sight it becomes a dream beach.

Soon we get to know all the other travellers and many locals in the small village and we really enjoy the company. At the weekends it gets crowded when the locals from Makassar spend their time here. For reasons we haven’t really figured out everyone wants to take a picture with the western tourists. I guess it is payback time for us western tourists who often want to take pictures of locals.

Bira also offers some great diving which we explore after a couple of days of rest. During my first dive here I dive deeper than 30 metres for the first time. At a depth of 39 metres it is darker, I cannot see the surface. My thoughts start to trail away to what would happen if I don’t feel well as there is no way to go up quickly without serious consequences. But once I have adjusted I can enjoy the sea snake, white tip sharks, napoleon fish and other great sights. Theo makes sure that I do the extra stops that his computer tells him to do as we go into decompression mode.

There is a second dive school run by a German called Elvis to which we change after a couple of dives. He has a resort built a bit like a castle 3 km away from the village right on the nicest part of the beach. He also built a small open air tower with a good view of the beach. When we are there to talk to him he says that we need to go and have a look a the tower. Then he says that he has had guests that wanted to sleep in the open air platform of the tower. All of these guests came from Switzerland. When we see the tower we look at each other and think we should continue that tradition. Elvis provides us with thin mattraces, we bring our moscito net and we have a romantic place to stay.

Initially we only intended to stay in Bira a couple of days. But we like it so much that we don’t want to leave. After almost 2 weeks in a guesthouse with friendly owners we change for the tower instead of leaving for a new place. We have a nice beach, good diving, decent food and interesting people to meet. There is a luxus resort with an infinity pool that we found out we are allowed to use if we buy something in the restaurant. Another nice treat in this fisher village. What else do we need?

Cross Borneo Trek: Das Dschungeltagebuch (Teil 2)

DISCLAIMER: Entgegen dem allgemeinen Stil dieses Blogs wird auch der folgende Beitrag episch ausfallen. Der Leser sei gewarnt.

Tag 9: Dschungelromantik (Fortsetzung)

Wir haben uns zwar nie wirklich Hoffnungen gemacht, aber es soll hier nochmals klar gesagt werden: Dieses Unternehmen ist keine Wildtiersafari. Wir haben zwar viele Krabbeltierchen gesehen, doch die Begegnung mit Reptilien, kleinen Säugetieren oder gar Wildkatzen ist enorm unwahrscheinlich. Dafür müsste man in der Nacht pirschen (viel Spass!), in einen Nationalpark gehen oder besser noch: Den Zoo besuchen. Das einzige höher entwickelte Lebenwesen (neben den Flussfischen) entdecken wir an diesem Morgen: Das Stachelschwein liegt friedlich am Flussufer. Seine Gedärme liegen knapp einen Meter daneben. Wie kam es dazu? Der Träger Doko hat die seltsame Angewohnheit nicht unter der Plache im Lager, sondern am steinigen Ufer des Flusses zu übernachten. Diese Nacht wurde er von besagtem Stachelschwein überrascht und haut diesem kurzentschlossen seine Machete ins Genick. Wir kommen davon nichts mit, obwohl sich die Szene nur etwa fünf Meter von unserem Zelt abspielt, die Geräuschkulisse des Dschungels überdeckt solche Aktionen. Warum er das Tier umgebracht hat, bleibt für uns etwas nebulös: Man könne es nicht essen und es sei kein gutes Tier oder so, meint Doko. Habe ich da etwas falsch verstanden? Man kann es NICHT essen? Na gut. Und ich habe mich so auf eine schöne Grillade gefreut.

Meine Schuhe flicke ich diesen Morgen mit einem dicken Gummiband. Das wird den ganzen Dschungeltrip hindurch halten, nur muss ich es etwa jede halbe Stunde wieder an die richtige Stelle ziehen. Besser als barfuss gehen. Das Gelände ist heute wieder schwierig, es geht über grosse glitschige Steine im Fluss. Unsere Begleitcrew scheint es eilig zu haben und läuft weit vorne weg. Bald sind sie ausser Sicht und wir müssen uns den Weg alleine suchen. Meistens wird nun Anne vorausgehen und spielt sozusagen den Guide. Als wir unseren eigentlichen Guide Kiswono darauf ansprechen, reagiert er mit Unverständnis (was ist eigentlich die Aufgabe eine Guides?). Er hat schlicht zu wenig Energie um beim Cross Borneo Teilnehmer und auch noch Guide zu sein. Seine Rolle beschränkt sich hauptsächlich aufs Kochen und Hilfe bei der Organisation der Transporte. Diese Expedition ist eine Nummer zu gross für ihn als Guide. Doch wer würde das je zugeben? Der Träger Amin läuft dann jedenfalls wieder mit uns und sein Vater Doko sucht den Weg. Kiswono trägt seinen Rucksack. Vernünftige Infos über den Weg können wir ihm schon lange nicht mehr entlocken. Auf die Frage, wie lange es zum nächsten Camp sei, antwortet er abwechselnd mit “Wir stellen dann das Zelt um 17 Uhr auf” oder einer willkürlichen Stundenangabe. Überdies zweifeln wir daran, dass wir auf dem eigentlichen “Müller Trail” sind. Der Pfad wird nämlich immer schwieriger, wir stürzen auch mal, ich falle mit meinem Steissbein auf eine Wurzel. Das tut richtig weh. Wir können uns kaum vorstellen, dass das französische Paar (um die 60), das wir vorgestern getroffen haben, diesen Weg genommen hat. Kiswono meint, früher sei der Weg besser gewesen.

Einen Lagerplatz erreichen wir den ganzen Nachmittag nicht. Kurz bevor es dunkel wird, beschliessen wir direkt am Fluss auf einer Sandbank das Camp aufzuschlagen. Das ist nicht ungefährlich, wenn man die möglichen plötzlichen Pegeländerungen des Flusses bedenkt. Es wird ein Notfallszenario besprochen. Wir schlafen mit allen Sachen gepackt und ohne Schlafsack, damit wir sofort aufstehen und die Böschung rauflaufen könnten. Doko schläft wie gewohnt am Flussufer, damit haben wir einen guten Pegelwachhund. Was uns etwas beunruhigt: Unsere drei hellsichtigen Kompagnons sagen heftigen Regen voraus, was sie anhand der Bewegung der Wolken zu wissen glauben. Bald beginnt es tatsächlich zu regnen. Ich wasche gerade meine Socken im Fluss und fluche innerlich. Auf den zweiten Blick finde ich jedoch die Situation ganz beschaulich: Mitten im Dschungel wasche ich meine Kleider im Fluss bei Regen. Nass bin ich sowieso. Der Regen dauert nur eine Viertelstunde.

Dann machen wir uns wieder hinter unseren Privatvorrat und knabbern Biskuits und Erdnüsse. Die Moral steigt. Mir geht es körperlich wieder viel besser, keine Erschöpfung mehr nach den Märschen, der Durchfall hat sich auch verringert (war es Giardiasis?). Dann trinken wir Tee und essen auf einem Baumstamm direkt am Fluss. Über uns ein prächtiges Sternenfirmament, wir sehen viele Sternschnuppen. Wir errinnern uns, dass im Moment die Leonidenschwärme zu sehen sein sollten. Die mondlose und absolut lichtemmissionenfreie Sicht aus dem tiefsten Dschungel von Borneo ist ideal. Romantik pur. Kiswono, unser Guide, meint, dass wir noch unseren Kindern und Grosskindern von diesem Abenteuer erzählen werden. Die Armen.

Tag 10: Kleine Schocks, grosse Flussdurchquerungen und Abwege

Der sechste Tag im Zelt beginnt mit einem Schock: Als wir erwachen, ist Annes Fuss blutüberströmt wie nach einem Unfall. Der Fall ist schnell geklärt, der Täter sitzt unweit davon fettgesogen in einer Ecke des Zeltes. Das Antigerinnungsmittel hat dazu geführt, dass Anne nach dem Egelbiss die halbe Nacht weitergeblutet hat. Das Blut hat eine ungewohnte Konsistenz: Statt zu klumpen ist es getrocknet und sieht aus wie eingetrocknete Wasserfarbe oder Nagellack. Das macht den Anblick schlimmer und erinnert wirklich an ein gespieltes Unfallopfer mit künstlichem Filmblut aus den achtziger Jahren. Wir finden noch zwei weitere Blutegel im Zelt und fragen uns, wie die hereingekommen sind. Glücklicherweise haben diese beiden Biester nicht zugebissen.

Es hat übrigens diese Nacht nur etwa eine halbe Stunde leicht geregnet. Unsere Begleiter sollten ihr Talent als Wetterfrosch noch einmal überdenken. Das Zelt hat trotzdem reingetropft. Der Flusspegel ist aber um 20 cm gesunken. Ein gutes Omen, denn heute steht die grosse Flussüberquerung bevor. Wir haben langsam eine Morgenroutine entwickelt und brechen bald auf. Zuerst geht es dem Fluss entlang, dann bahnen wir uns den Weg mit der Machete durch den Dschungel und erreichen irgendwann einen fast zugewachsenen und kaum sichtbaren Trampelpfad. Dann kommt Schock Nummer zwei und ich wäre fast reingestolpert. Über den Weg hängt ein riesiges Spinnennetz, darin die wohl grösste Netzspinne, die ich je gesehen habe. Das Ding ist handgross mit einem fingerdicken Körper.

Dann wird der Weg besser und wir erreichen den grösseren Bungan Fluss. Dort treffen wir auf eine kleine Grupper Einheimischer, die nach traditioneller Methode Gold schürfen. Das erste Zeichen von “Zivilisation” seit langem. Die grosse Flussquerung wird harmloser als erwartet. Der Fluss ist zwar fast 50 m breit, aber das Wasser reicht nur bis zur Hüfte. Wir hatten uns psychologisch auf Schwimmen vorbereitet. Auf der anderen Seite ist ein Lagerplatz genannt “Baraka”. Wir erfahren, dass Amin hier geboren wurde, als seine Eltern hier einige Zeit in einem permanenten Zelt wohnten. Der Ort ist schön und offen über dem Fluss gelegen; wir machen hier eine lange Mittagspause.

Beim Weiterlaufen muss ein weiterer Ausrüstungsgegenstand das Zeitliche segnen: Annes Hosen reissen. Notdürftig wird mit Klebeband geflickt, am Abend dann so gut es geht genäht. Meine Schuhe halten übrigens tapfer durch, obwohl die vordere Hälfte praktisch offen ist. Der Weg führt uns jetzt vor allem durch Sumpf und Schlamm, ich muss aufpassen, dass ich meine Schuhe nicht verliere. Es geht aber ordentlich voran. Wir kommen zu einer Stelle, wo die Wurzeln eines umgefallenen Baumes einen fast 10 m grossen Krater ins Erdreich gerissen haben. Doko zögert, geht dann aber entschlossen weiter. Zwei Stunden später kommt die Hiobsbotschaft: Wir sind auf dem falschen Weg und müssen zurück zum Wurzelkrater. Die Motivation sinkt ins Bodenlose. Wir haben den Eindruck, dass wir seit dem Grenzstein zu Westkalimantan (eigentlich schon vorher) seltsam verschlungene und undurchdringliche Pfaden genommen haben. Wissen unsere Begleiter, was sie tun? Kiswono und Doko sind beide vor vier Jahren das letzte Mal den Müller Trail gelaufen. Hätten wir da vorher misstrauisch werden sollen? Waren wir fahrlässig? Sie fragen, ob wir zurück zu Baraka gehen wollen oder weiter. Wir wollen weitergehen.

Nach einiger Zeit queren wir wieder den grossen Bungan Fluss und finden dort ein Nachtlager. Alle haben heute kleine schmerzende Löcher in der Haut der Fusssohle. Gemäss Kiswono handelt es sich um sog. “Waterbugs” (“that’s how we call them in Indonesia”), Bakterien, die sich in stehenden Gewässern des Regenwalds tummeln. Die Sumpfdurchquerungen lassen grüssen. Unseren Füssen ging es bis jetzt eigentlich ganz gut. Als Anne mal Probleme mit Druckstellen hatte, habe ich ihr meine super Blacksocks geliehen (ja, diese Business Socken sind auch im Dschungel zu empfehlen). Wir nerven uns immer noch über die Tatsache, dass unser Guide keine Ahnung vom Weg hat. Einmal sagt er, wir würden unser Ziel Tanjung Lokan bereits morgen erreichen, dann geht es wieder zwei Tage. Anne nervt sich noch mehr als ich darüber, dass wir entweder gar keine brauchbaren oder ständig wechselnde Infos über den Weg kriegen. Wir ziehen uns früh ins Zelt zurück, essen unsere letzten Biskuits und Erdnüsse und basteln eine Elektrolytlösung. Wir haben heute zu wenig getrunken. Die Moral ist schlecht. Die schmerzenden Füsse machen die Sache nicht besser. Vitamerfen schafft ein bisschen Abhilfe.

Tag 11: Sind wir schon da?

Ein kleiner Funken Hoffnung besteht noch, ich will heute ankommen. Ich stehe um sechs Uhr auf, packe die Sachen, hole Wasser, mache alles parat. Die Gruppe ist aber weniger enthusiastisch, es geht langsam voran und wir brechen erst nach acht Uhr auf. Der Weg wirkt wieder improvisiert, einmal den rutschigen Felsen am Flussufer entlang, einmal quer durch den Dschungel ohne Pfad mit Machete, über viele umgestürtzte Bäume. Bald erreichen wir eine kleine Lichtung am Fluss. Vor uns ragt plötzlich eine senkrechte Felswand wohl mehr als hundert Meter aus dem dichten Dschungel. Ein imposanter Anblick und eine idealer Orientierungspunkt denken wir uns. Falsch gedacht. Wir kriegen immer noch keine brauchbaren Infos über den Weg. Annes Motivation ist auf dem Tiefpunkt. Ich stelle auf Schafsmodus. Die meisten Schweizer haben diese fatalistische Haltung in der Rekrutenschule gelernt. Man kennt die Situation: Der Zugführer kann nicht Kartenlesen, stolpert unbeholfen durch die Gegend, würde das aber nie zugeben und schon gar nicht Hilfe von einem einfachen Rekruten annehmen. In solchen Situationen muss man sämtliche intellektuellen Anfälle und die gutgemeinten Zweifel, die einem im Leben weiterbringen sowie jegliche intrinsische Motivation abstellen und mitlaufen. Nach einer Weile im Schafsmodus stellt sich eine wohlige Zufriedenheit ein. Man würde der Herde wohl lemminggleich über die Klippe folgen (gibt es psychologische Arbeiten zu diesem Thema?). Anne wird diese grossartige Errungenschaft des (Schweizer) Militärs hoffentlich auch noch für sich entdecken.

Es geht weiter durch dichten Wald, Sumpf und Schlamm ohne vernünftigen Weg. Die meiste Zeit muss ich gebückt laufen, weil der “Pfad” so überwachsen ist. Unzählige Male machen wir einen “small break”, weil Doko und Kiswono keine Ahnung haben, wo es langgeht und diskutieren müssen. Zu Mittag erreichen wir eine kleine Wiese, es soll sich um den Lagerplatz “Tolo” handeln. Ab hier gäbe es kaum mehr Wasser, weshalb unser Guide bereits das Nachtlager aufschlagen will. Dann entdeckt man, dass “Tolo” doch noch nicht hier ist. Das wahre “Tolo” erreichen wir eine Stunde später. Der Platz gleicht tatsächlich der vorherigen Wiese mit dem kleinen Unterschied, dass grad nebenan ein Riesenfels aus dem Dschungel herausragt. So ein Hundertmeterfels ist ja auch leicht zu übersehen (oder einzubilden)… Im Felsen hoch oben befinden sich Höhlen mit Schwalbennestern, die früher teuer als Delikatesse nach China verkauft wurden. Da die Preise vor ein paar Jahren eingebrochen sind, lohnt sich dieses Geschäft nicht mehr und die Pfade zu den Felsen werden kaum mehr begangen, sind enorm verwachsen. Wir verlieren also wieder einen halben Tag und werden heute definitiv nicht ankommen. Obwohl wir unseres Erachtens mindestens einen halben, wenn nicht einen ganzen Tag rausgeholt haben, wurde dieser Vorsprung durch die Navigationskünste unserer Begleiter wieder eliminiert.

So verbringen wir den halben Nachmittag bereits im Nachtcamp, waschen uns und desinifizieren die Füsse (auch heute gab es wieder Schlammbakterien). Ich liege in der Sonne und habe trockene Füsse. Das ist in meiner relativen Luxusskala im Moment wie Spa und Fussmassage. Ansprüche senken statt Standard erhöhen ist günstiger und das grössere Erlebnis. Daran ändert auch ein weiterer Bienenstich nichts. Die Nacht beginnt mit Glühwürmchen und lautem Zirpen der Grillen. Bald stellt der Regen beides ab. Ich schlafe wieder in einer Pfütze und werde angetropft. Auch das gehört schon fast zur Routine.

Tag 12: Die Ankunft

Es ist der achte Tag zu Fuss durch den Regenwald von Borneo. Es soll der letzte Tag im Dschungel werden und dennoch ist die Motivation mässig hoch. Die Füsse schmerzen langsam ziemlich stark, die Umwege schlagen auf die Moral und wir sind etwas abgemattet von den Regennächten im undichten Zelt. Der Weg geht wie gewohnt durch rutschige Bachbette, Schlamm und undurchdringlichen Wald. Kiswono ist sichtlich erschöpft und will jede Viertelstunde eine Pause machen. Doko findet den Weg mehr schlecht als recht. Wir erreichen den letzten Aufstieg neben riesigen, tropfenden Kalksteinmonolithen. Oben fressen sich grosse Höhlen in die Steinriesen.

Danach führt der Weg in dichte Bambuswälder und mündet unverkennbar in Sekundärwald. Das nächste Dorf kann also nicht weit weg sein. In einem kleinen Waldabschnitt mit Bach nehmen wir das letzte Dschungelmittagsmahl ein. Der Guide meint, wir sollen nochmal alle Flaschen auffüllen, denn wir werden das Dorf erst am späten Abend erreichen. Kurz nachdem wir den letzten Marsch antreten, treffen wir auf eine Gruppe Einheimischer in einem Boot. Ich weise Kiswono darauf hin, dass er diese nach dem sogenannten “Bobo” fragen soll, eine lokale Attraktion in Form eines riesigen Felsens, von welchem wir gehört haben. Ich besprach das schon vorher mit ihm, er hatte leider keine Ahnung wovon wir sprachen. Bei diesem Hinweis dreht Kiswono völlig unerwartet durch: Er schreit rum wie ein fünfjähriges Kind, dass wir keine Zeit haben und jetzt das Dorf erreichen müssen und nach besprochenem Programm gehen müssen (welches wir noch nie eingehalten haben). Die Situation ist eher lustig, nach indonesicher Mentalität hat der Guide vollständig sein Gesicht verloren. Die beiden Träger werden ihn ab jetzt kaum mehr beachten. Wir bleiben ruhig und sagen, das wir anderer Meinung sind, aber hier wohl kaum der rechte Ort und die rechte Zeit ist, das zu besprechen. Der arme Kerl ist völlig am Ende.

Eine halbe Stunde später kommen wir zu einer kleinen Brücke und stehen plötzlich im kleinen Dschungelkaff Tanjung Lokan am Ufer des Kapuas Flusses. Es ist kaum 14 Uhr und wir sind absolut überrascht von dieser frühen Ankunft. Mit den Trägern machen wir Ankunftsfotos und gratulieren einander. Die paar Holzhäuser liegen friedlich auf einer kleinen gerodeten Fläche am Flussufer. “Friedlich” ist wohl die beste Beschreibung des Dorfes und unseres momentanen Zustandes. Wir sind weniger erleichtert oder überwältigt, als eingenommen von einem Gefühl von Friedlichkeit. Ein Einheimischer, der in seinem Vorgarten ein Kanu schnitzt, lädt uns in sein Haus ein und wir trinken Tee. Langsam begreifen wir, dass wir es geschafft haben. Bis wir es richtig realisieren, wird es jedoch noch Tage oder gar Wochen dauern. Kleinlaut kommt Kiswono zu uns und entschuldigt sich für seinen kindlichen Ausraster. Er zeigt sein GPS und den Weg, den wir zurückgelegt haben. Es waren nur um die 100 km ziemlich gerade von Osten nach Westen. Von jetzt an hat er den Weg aufgezeichnet und kann nach GPS gehen (aber ob das wirklich der “Müller Trail” ist?). Dann waschen wir zum letzten Mal Kleider und Körper im Fluss, es hat kein fliessendes Wasser im Dorf. Unseren in Balikpapan gekauften Schlafsack Marke “Eiger” schenken wir Amin, der daran enorme Freude hat.

Wir werden am Boden im Haus des besagten Einheimischen übernachten. Um vier Uhr nachmittags gibt es ein frühes Abendessen: Reis und Nudeln mit Büchsenrindfleisch (Corned Beef) und Büchsensardinen. Ein Festmahl. Ich esse für drei Personen und fühle mich wie Gott in Frankreich. Noch heute träume ich von dieser Mahlzeit. Subjektiv eine der besten der ganzen Weltreise. Dann sitzen wir zusammen auf der Terrasse des Holzhauses, eines der schönsten des Dorfes und das einzige mit Generator. Der Eigentümer zeigt uns eine kleine Ampulle mit Gold, das er geschürft hat. Er ist zwar nicht der Häuptling, aber der reichste Mann im Dorf. Reich geworden sei er durch Gold- und Treibstoffhandel. Als es stark zu regnen beginnt, verzieht sich die Gesellschaft nach innen und drei Generationen mit Gästen schauen zusammen Kinderfernsehen. Wir erfahren auch, dass das Religionsministerium entschieden hat, dass morgen die Mondsichel genügend sichtbar ist um den Ramadan zu beenden. Die Nacht auf dem Fussboden ist komfortabel: Draussen tobt der Regen, es tropft zwar auch hier ein bisschen herein, aber dem kann man viel einfacher ausweichen als im Zelt. Wir schlafen wie Babies.

Tag 13: Die letzte und schönste Flussfahrt

Nach dem Frühstück verabschieden sich die Träger sang- und klanglos. Sie werden den Weg zu Fuss zurückgehen in ihr Dorf Tiong Ohang.

Der Kapuas Fluss führt nach der Regennacht ziemlich viel Wasser. Unser Guide ist besorgt, dass der Pegel zu stark ansteigen könnte und wir nicht mehr durch die Stromschnellen kommen. Der einzige Weg weg von Tanjung Lokan führt über den Fluss, keine Strasse erstreckt sich so weit in den Dschungel hinein. Bald kriegen wir Nachricht, dass die Stromschnellen im Moment noch passierbar seien und wir beschliessen sobald als möglich weiterzureisen. Unser Gastgeber bietet sein eigenes Boot an. Kurz darauf kommen aus allen Richtungen Leute und bringen Briefe und Einkaufslisten vorbei für das Boot, das in die “Stadt” fährt. Bereits nach neun Uhr sitzen wir bequem im mittelgrossen Kanu. Die Fahrt wird enorm schön und entspannt durch den wilden Dschungel führen. Wir werden ab und zu mal nass, bei den grossen Stromschnellen müssen wir aussteigen und 200 m dem Flussufer entlang klettern. Das Boot stürtzt sich waghalsig in die Waschmaschine, kommt aber unbeschadet wieder heraus. Der Kapuas ist deutlich weniger befahren und seine Ufer weniger bewohnt als der Mahakam. Allgemein ist der Westen (noch) weniger entwickelt als der Osten von Kalimantan.

Um circa 13 Uhr halten wir an einer der spärlichen Siedlungen und versuchen Essen und Treibstoff aufzutreiben. Es hat zwar kein Rumah Makan, kein Restaurant im Dorf, aber wir werden in einem Haus von einer ganzen versammelten Gesellschaft empfangen. Wir erinnern uns: Es ist Idul Fitri, das Zuckerfest zum Ende des Ramadan, wo sich die Familien versammeln. Gäste und insbesondere die seltenen Buleh (Weisse) werden mit offen Armen empfangen und mit süssen Biskuits und weiteren traditionellen Speisen versorgt. Nach vielem Händeschütteln und zahlreichen Fotos geht unsere Fahrt weiter.

Fast bis zur kleinen Stadt Putussibau wächst Primärwald an den Ufern. Erst kurz vor der Stadt lichten sich die Ufer etwas. Einen halben Kilometer vorher geht uns das Benzin aus, das nenn ich mal knapp kalkuliert. Die letzten Meter werden gerudert, es geht ja stromabwärts. Wir nehmen die erste Anlegestelle, organisieren uns Motorradtaxis und fahren zum einzigen Hotel im Ort. Die erste Dusche seit Samarinda fühlt sich sehr gut an, auch ohne Warmwasser. So sauber waren wir schon lange nicht mehr. Unsere feuchten Klamotten verbreiten einen herben Modergeruch im Zimmer. Wir freuen uns aufs Abendessen, finden aber bald heraus, dass wegen Idul Fitri praktisch alles geschlossen ist. Nur eine Essmöglichkeit ist offen: “Suga Chicken”, ein lokaler, schlechter Abklatsch eines KFCs. Ich überesse mich mit Ayam Goreng (fritiertes Poulet) und habe noch lange danach einen enormen Klumpen im Bauch.

Tag 14: Zurück in der Zivilisation?

Ein freier Tag in Putussibau. Weil immer noch Idul Fitri ist, müssen wir alle Mahlzeiten im Suga Chicken einnehmen. Die Stadt (eher ein grosses Dorf) bietet nicht viel. Nach einem Entdeckungsspaziergang haben wir überhaupt nichts Sehenswertes entdecken können. Praktisch alle Läden und Lokale sind geschlossen. Am Abend werden zu Idul Fitri Feuerwerke abgebrannt.

Immer mehr realisieren wir, dass wir es geschafft und den Cross Borneo Trek unbeschadet überstanden haben. Die Füsse sind seit fast 24 Stunden trocken und die kleinen Löcher in der Fusssohle zeigen erste Anzeichen von Heilung. Anne und ich sind stolz, dass wir die Durchquerung von Borneo als Team gemeistert haben und uns gegenseitig motivieren und helfen konnten.

Tag 15: Es ist noch nicht vorbei

Wir packen und putzen noch ein paar letzte Ausrüstungsgegenstände. Nach einem weiteren Mittagessen im Suga Chicken mit einer Stunde Wartezeit (es sollte sich doch hier um fast food handeln…), brechen wir auf vier Rädern auf Richtung Pontianak. Die Fahrt soll um die 18 Stunden dauern.

Nach wenigen Kilometern weicht die Strasse einer kleinen, dünnen Serpentine mit einer Neigung von mindestens 10 %, auf und ab. Zuerst fehlen Stücke des Belags, dann zeigen sich riesige Schlaglöcher und irgendeinmal erinnern seltene verstreute Brocken Asphalt noch vage daran, dass es hier einmal eine Strasse gegeben hatte. Nach zwei Stunden ist uns beiden übel. Der Fahrer fährt wie vom Affen gebissen und mit den fahrerischen Fähigkeiten eines Zwölfjährigen. Wir haben einen Fast-Zusammenstoss mit einem Lastwagen. Nach einigem Insistieren drosselt er das Tempo für knapp eine halbe Stunde, aber es ist zu spät: Mein Mageninhalt drängt sich in Viertelstundenabständen nach oben. Wir sind erst zweieinhalb Stunden unterwegs, das kann ja heiter werden. Und ich dachte, wir hätten die Durchquerung praktisch überstanden. Nach endlosen und qualvollen Stunden des Leidens und der Übelkeit legen wir einen Abendessenstopp ein. Obwohl ich nichts essen oder trinken kann, beruhigt sich der Magen in dieser Stunde ohne auf und ab, links und rechts, bremsen und beschleunigen. Halb liegend auf der Rückbank und mit geschlossenen Augen werde ich die Fahrt knapp überstehen. Mit dem Kopf stosse ich alle paar Minuten schmerzhaft an die Autotür, aber dieser Schmerz schafft ein wenig Ablenkung.

Mittlerweile haben sich unsere Bremsen verabschiedet, was die Geschwindigkeit ein bisschen reduziert. Unser Fahrer steigt aber nicht auf Motorenbremse um (das hatten wir in Laos schon erlebt), sondern bedient sich der Handbremse. Es ist erstaunlich, das er damit überhaupt einen Bremseffekt erreicht, bei neueren Modellen würde das kaum funktionieren. Unter den gegebenen Umständen stellt sich unser Fahrer nun gar nicht so dumm an, aber auch der stärker werdende Verkehr hindert ihn an zu schnellem Fahren. Wir ignorieren den Sicherheitsaspekt dieser halsbrecherischen Handbremse-Methode und hoffen bald anzukommen.

Tag 16: Ein etwas anderer Geburtstag (ja, diesen Titel hatten wir schon einmal)

Um vier Uhr morgens treffen wir in Pontianak ein. Die letzten zwei, drei Stunden fuhren wir wieder auf einer richtigen Strasse und konnten noch ein bisschen schlafen. Nun haben wir es wirklich überstanden, haben Borneo von Ost nach West mehr oder weniger dem Äquator entlang durchquert. Wir schlafen noch ein bisschen in der Hotellobby und können irgendwann nach sechs Uhr früh ins Zimmer einchecken. Wir nehmen unser restliches Gepäck wieder in Empfang, welches wir von Balikpapan hierher geschickt haben. Die warme Dusche spült den letzten Dschungeldreck ab und der Dschungelbart kommt weg. Nach ein paar Stunden Schlaf sind wir wie neu geboren.

Heute ist mein Geburtstag. Er hat zwar unangenehm begonnen, soll aber schön enden. Und er wird mir defintiv in Erinnerung bleiben. Wir schlendern etwas in Pontianak herum. Den Nachmittag verbringen wir an unserem Dachterrassen Pool, der leichte Regen stört uns kaum. Ich lese Nieuwenhuis’ Reiseaufzeichnungen “Quer durch Borneo” und muss feststellen, dass der vor 100 Jahren durchaus besser ausgerüstet war als wir… Im Hotel gibt es Bier und wir können endlich anstossen auf das geglückte Unternehmen. Extra für uns wird im Hotel das Dachterrassenrestaurant geöffnet. Ein romantisches Tête-à-Tête unter Sternenhimmel über den Dächern von Pontianak entschädigt für alle Entbehrungen der letzten Tage. Es ist Sonntag und noch immer werden in der ganzen Stadt zu Idul Fitri Feuerwerke gezündet. Die Aussicht ist magisch, wir geniessen den Luxus in vollen Zügen.

Tag 17: Zurück in der Zivilisation!

Das Frühstücksbuffet ist fantastisch, es hat sogar so etwas wie Zopf. Heute laben wir uns an den kulinarischen Segnungen der Stadt Pontianak und hier kann man wirklich von einer Stadt sprechen ohne Anführungszeichen. Wir sind wieder in der Zivilisation angekommen. Schweren Herzens kaufe ich Ersatz für meine nicht mehr zu rettenden Lieblings-Weltreiseschuhe.

Am nächsten Tag fliegen wir nach Makassar in Sulawesi. Dort wollen wir nachholen, was bisher etwas zu kurz gekommen ist: Strand und Tauchen (Party muss wohl noch etwas warten).

Cross Borneo Trek: Das Dschungeltagebuch (Teil 1)

DISCLAIMER: Entgegen dem allgemeinen Stil dieses Blogs wird der folgende Beitrag episch ausfallen. Der Leser sei gewarnt.

Als wir vor zwei Jahren den malayischen Teil von Borneo besuchten, waren wir von der riesigen Dschungelinsel fasziniert. Obwohl auch hier viel Holz gerodet, enorme Palmölplantagen aufgebaut und rücksichtslos Kohle, Gold und andere Bodenschätze abgebaut werden, bestehen immer noch fast unberührte Primärregenwälder. Die erste Borneodurchquerung gelang dem holländischen Naturforscher Anton Willem Nieuwenhuis 1894. Die Route entlang des Äquators hat sich in mehr als 100 Jahren praktisch nicht verändert und ist nach wie vor begehbar. Eine Idee reift in unseren Köpfen heran.

Als wir am Strand von Koh Phangan unsere weitere Reise planen, wird die Idee konkreter. Der Plan ist von Samarinda im Osten von Kalimantan (die indonesische Seite von Borneo) den Mahakam Fluss hinaufzufahren und dann zu Fuss über den sogenannten “Müller Trail” über die Müller Range. Georg Müller war einer der ersten Borneo Forscher und wurde 1834 von den Dayak getötet und der Legende nach verspiesen. Auf der Westseite wollen wir sodann den Kapuas Fluss wieder herunterzufahren bis Putussibau und mit dem Auto nach Pontianak an die Westküste von Kalimantan. Die beiden genannten Flüsse bilden je fast 1000 km lange Verkehrsadern mitten hinein in die Tiefen des Dschungels von Borneo und machen ihn so “relativ” zugänglich. Wir rechnen mit 17 Tagen für die Durchquerung, davon acht Tage zu Fuss durch den Regenwald.

Tag 0: Ankunft

Wir landen in Balikpapan an der Ostküste von Kalimantan und treffen unseren Guide, Kiswono. Bei unseren Vorbereitungen haben wir vier Guides angeschrieben und uns aus mehreren Gründen schliesslich für ihn entschieden. Es gibt nur eine handvoll erfahrene Guides, die einem quer durch Borneo führen können. Heute erfahren wir, dass unser Guide dabei war, als vor zwei Jahren ein Holländer auf dem “Müller Trail” ums Leben gekommen ist. Wir versuchen es positiv zu sehen; zumindest hat er Erfahrung mit Extremsituationen.

Tag 1: Letzte Vorbereitungen

Nach Rücksprache mit Kiswono finalisieren wir unser Reisegepäck. Nicht dabei sind Moskitonetz (im Nachhinein ein schlechter Rat von ihm, aber wir nehmen dafür Malariaprophylaxe ein) und Regenschutz/Schirm. Wir reisen mit leichtem Gepäck, wenigen Kleidern und nur dem Nötigsten. Den kleinen Luxus von Toilettenpapier wollen wir uns auch im Dschungel nicht vergönnen. Der gesamte Rest wird per Kurier nach Pontianak geschickt. Wir kaufen uns noch einen Schlafsack, dann geht es in vier Stunden Autofahrt nach Samarinda. Unterwegs haben wir Gelegenheit eine der schönsten Moscheen von Kalimantan zu besichtigen. Ab hier werden wir bis Pontianak keine weissen Gesichter mehr sehen, mit einer kleinen Ausnahme.

Derweil erfahren wir von Kiswono, dass seine beiden letzten Expeditionen quer durch Borneo gescheitert sind. Vor zwei Jahren ereignete sich der erwähnte Todesfall und vor drei Jahren hat ein deutsch/schweizerisches Paar nach drei Tagen im Dschungel aufgegeben. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, dass unser Guide vor vier Jahren das letzte Mal erfolgreich Borneo durchquert hat.

In Samarinda besorgen wir uns Damenstrumpfhosen, schneiden sie ab und basteln uns so improvisierte Blutegelsocken (richtige “Leech Socks” konnten wir weder in Bangkok, Singapur noch Indonesien auftreiben). Ich lasse mir noch ein zusätzliches Loch in den Gurt stechen aus weiser Voraussicht des drohenden Gewichtsverlusts, der sich auch verwirklichen wird. Wir erfreuen uns zum letzten Mal an zivilisatorischen Errungenschaften wie einer Dusche, einem anständiges Essen im Hotel und Handyempfang. Der Muezin singt praktisch die ganze Nacht durch, es ist immer noch Ramadan. Dennoch schlafen wir gut.

Tag 2: Eine gemütliche Flussfahrt

Früh morgens begeben wir uns zum kleinen Flusshafen und besteigen das grosse Hausboot, das den Mahakam flussaufwärts fahren wird. Als einzige Buleh (Weisse) sind wir zunächst eine kleine Attraktion. Bald gehören wir aber irgendwie zum Inventar und fallen nicht mehr weiter auf. Im oberen Stock hat es gemütliche dünne Liegen im Stil eines Massenlagers oder Sklaventransports. Vorne auf dem Schiff befindet sich eine Mini-Terrasse mit herrlicher Aussicht. Zu Beginn ist der Flussverkehr noch relativ dicht mit vielen Kohletransportern, wird aber je länger je dünner. Wir passieren die Orte Kota Bangun und Muara Muntai. Die Fahrt geht langsam, ist aber sehr gemütlich und romantisch, kein Vergleich zum überfüllten touristischen Slow Boat in Laos. Wir lesen viel während wir tiefer in den Dschungel eindringen. Das Schiff fährt die Nacht hindurch. Wir sehen Lichter auf dem Fluss schimmern, es sind kleine Fischerboote.

Tag 3: Wildwasserfahrt

Um sechs Uhr morgens werde ich durch heftige Diskussionen aus dem Schlaf gerissen. Einige Männer sind auf das Boot gekommen und verhandeln lauthals mit den Passagieren. Wir haben im Dorf Longiram angelegt und die Männer erzählen mir, dass das Boot wegen dem tiefen Wasserstand nicht bis ans Ziel fahren kann. Ich wecke Anne und Kiswono, wir essen ein gemütliches Cup Noodles-Frühstück auf dem Boot und organisieren dann ein kleines Speedboat nach Long Bagun. Der Mahakam fliesst nun durch Primärwald tiefer ins Land hinein. Siedlungen, Boote und andere zivilisatorische Anzeichen werden rarer. Die Kohlestransporter sind verschwunden. Grosse, locker zusammengebundene Flosse aus riesigen Baumstämmen offenbaren, dass hier Holzfällerterritorium ist. Auf diesen Flossen haben Einheimische ihre Zelte aufgebaut und treiben langsam flussabwärts. Wir passieren spektakuläre Felsschluchten und schöne Steinformationen.

Am Mittag erreichen wir Long Bagun. Dort organisieren wir uns ein weiteres kleines Speedboat nach Tiong Ohang. Die Transportpreise steigen enorm, da jeder Tropfen Benzin hier mühsam in kleinen Booten gegen den Strom den Fluss hinauf transportiert werden muss. Die nächsten vier Stunden Bootsfahrt werden wild. Die Stromschnellen des oberen Mahakam stellen die Wildwasserbahn im Europapark locker in den Schatten. An einigen Stellen müssen wir aussteigen und die Strecke am Ufer entlang stolpern. Der Oberlauf des Flusses wird kaum mehr befahren. Wir sehen nur wenige lokale Goldschürfboote, kleine Rostlauben, die mit Baggern oder Saugvorrichtungen das Sediment aus dem Fluss heben und sieben. Siedlungen sind hier kaum mehr vorhanden. Wir fahren vorbei an vielen wunderschönen Wasserfällen, jeder allein könnte für sich eine Touristenattraktion sein.

Gegen Abend erreichen wir Tiong Ohang und Tiong Bu’u. Die beiden kleinen Dörfer links und rechts des Flussufers sind mit einer kleinen Fussgängerbrücke im Toni Rüttimann-Stil verbunden (die Brücke sei jedoch von der Regierung erbaut worden). Wir übernachten in einem einfachen Losmen, einem Holzzimmer mit Bett und einem Gemeinschaftswasserhahn. Vor Sonnenuntergang holen wir uns noch die Bewilligung der lokalen Polizei um den Trek durch den Dschungel und das Grenzgebiet zu Malaysia antreten zu dürfen. Auch im Dorf sind wir zunächst eine Attraktion und werden von Jung und Alt angesprochen mit “Hello Mister” oder “Buleh Buleh”-Rufen. Bald aber hat man sich an uns gewöhnt. Den Abend verbringen wir auf der schönen Holzterrasse mit Blick auf den Fluss und die “Hauptstrasse” des Dorfes. Tiong Ohang ist nicht ans Strassennetz angebunden, die Dorfstrassen sind entweder Holzwege auf Stelzen oder Lehmwege, die noch Fragmente von altem Asphalt tragen. Keine Autos, aber wir sehen doch den einen oder anderen Roller im Dorf.

Tage 4: Letzte Erledigungen und Warten auf den Abmarsch

Nach der zweiten Registrierung bei der Militärpolizei, müssen die Träger und das Boot organisiert werden, das uns weiter flussaufwärts bringt. Die Träger, die unser Guide Kiswono eigentlich engagieren wollte, sind leider seit gestern am Goldschürfen und nicht erreichbar (im Dorf steht zwar eine Mobilfunkantenne, aber die funktioniert nicht). Wir finden Ersatzträger: Doko der Vater und sein Sohn Amin. Später wird sich herausstellen, dass auch sie seit vier Jahren keine Durchquerung mehr gemacht haben. Am Nachmittag kommen Doko und Amin vorbei und nehmen das Logistikgepäck in Empfang: Zelt, Plachen, Kochutensilien, 15 kg Reis und weitere Lebensmittel für zehn Tage.

Später erkunden wir weiter das Dayak Dorf und besorgen mehr Toilettenpapier. Wir sind uns nicht sicher, ob wir das Papier als gutes Beispiel raustragen wollen. Was ökologisches Verhalten in diesem Land angeht, sind wir völlig desillusioniert. Abfall und Plastik wird überall einfach auf die Strasse oder in den Wald geworfen. Plastik wird oft auf kleinen Häufchen verbrannt, auch mitten in den Städten. Hier im Dschungel ist der Fluss der Abfalleimer. Gestern hatte Anne unsere Cup Noodles-Plastikbecher brav im Abfalleimer entsorgt und musste nachher mit Entsetzten sehen, wie die Bootsfrau diesen einfach in den Fluss entleerte. Wir beschliessen, dass wir nur das biologisch abbaubare WC Papier zurücklassen werden und alles andere heraustragen. Unsere Begleiter finden dafür nur Unverständnis. Für sie ist es normal, eine Plastikspur (inkl. Batterien und leere Gasflaschen) zu hinterlassen. Der Ökotourismus hat es leider noch kaum nach Indonesien geschafft.

Tag 5: Weiter zu Fuss

Die Träger kommen zwar mehr als eine Stunde zu spät, aber kurz nach neun Uhr fahren wir mit dem motorisierten Kanu flussaufwärts durch die Stromschnellen. Wieder müssen wir einige Male aussteigen und am Ufer entlang klettern, damit das Boot durch die Untiefen gelangt. Manchmal durchfahren wir in den Stromschnellen zwischen den Felsen nur kleine Kanäle , die kaum breiter als unser Kanu sind. Am Mittag erreichen wir unseren Startplatz, von wo wir nach einem kurzen Mittagsessen zu Fuss aufbrechen in den Regenwald von Borneo.

Es geht zunächst steil bergauf und wieder bergab. Bei der ersten Flussquerung versuche ich noch herüberzuklettern ohne nasse Füsse zu kriegen. Bald sehe ich jedoch die Sinnlosigkeit dieses Ansinnens ein, denn wir queren heute noch mehr als ein Dutzend knietiefe Flüsse. Der 24-jährige Träger Amin kommt oft nicht nach und wir müssen warten. Da unser Guide aber genauso oft nicht weiss, wo es langgeht, gleicht sich das wieder aus. Beide Träger führen Macheten bei sich um sich den Weg durch den undurchdringlichen Wald zu bahnen (wenn man grad den eigentlichen Pfad nicht findet, was bei uns eher die Regel als die Ausnahme werden soll). Doko, der 45-jährige Vater, trägt ausserdem ein Gewehr, das eher wie ein selbstgebasteltes Kinderspielzeug aussieht. Er läuft barfuss, was ihm viele Blutegelbisse einbringt. Seine blutenden Füsse scheinen ihn wenig zu kümmern. Unsere selbstgebastelten Blutegelsocken hingegen bewähren sich und wir haben den Tag durch keine Blutegelbisse. Die ungefähr zwanzig kleinen Würmer, die an uns raufklettern, können nicht unter unsere Kleidung schlüpfen. Gegen Abend erreichen wir den ersten Rastplatz. Wir bauen das Lager auf und waschen uns im Fluss. Ich bin erstaunlich müde und fühle mich matt. Zum Abendessen gibt es Reis, Nudeln und ein wenig getrockneten Fisch. Dann wird Anne doch noch von einem Blutegel gebissen. Ausser diesen Tierchen hat es im Camp vor allem Spinnen und Bienen. Erstere sind einfach zu erkennen, da ihre Augen den Schein der Taschenlampe reflektieren. Es schauen mir erschreckend viele solcher Augen entgegen… Ansonsten ist die Stimmung romantisch, wir sehen sogar ein paar Sterne, der Lärm des Dschungels ist ohrenbetäubend.

Um 22 Uhr wache ich auf und habe 38.1°C Fieber. Wir schliessen schlimmere Ursachen wie Malaria oder Dengue aus und schieben das auf den Durchfall, den ich seit ein paar Tagen nicht wegkriege. Die Entscheidung, wie wir darauf reagieren wollen, wird auf morgen verschoben. Umkehren ist ultima ratio.

Tag 6: Das Grab

Wir merken nicht viel davon, dass heute der 1. August ist. Das Fieber ist zurückgegangen und es geht mir besser, wir beschliessen weiterzugehen. Am Morgen ist der Weg gut. Amin kommt heute besser mit. Der Vater läuft weiterhin barfuss und sogar nur in Unterhosen. Nach dem Mittag geht es wieder steil bergauf und der Weg ist praktisch inexistent. Diese Route wird kaum mehr begangen, normalerweise wird hier ein Umweg eingeschlagen. Der Grund: Wir erreichen bald das Grab von John, der Holländer der im Oktober 2011 hier verstorben ist. Über die Geschichte gibt es mehrere Versionen. Wir haben gehört, er habe sich den Kopf angeschlagen, als er auf einem rutschigen Stein ausgerutscht sei. Gemäss unserem Guide Kiswono (der ja dabei war!), sei John 140 kg schwer gewesen und schon am ersten Tag fast nicht nachgekommen. Dann wäre er tatsächlich auf einer rutschigen Felsplatte ausgerutscht und habe sich dabei den Hintern angeschlagen. Eine halbe Stunde später sei er kollabiert und verstorben. Diagnose unseres Guides: Erschöpfung, was immer das heissen mag. Nach seinem Tod habe man dann lange diskutiert und dann beschlossen, Johns sterbliche Überreste an Ort und Stelle zu beerdigen. Natürlich gab es eine polizeiliche Untersuchung, aber offensichtlich keine Verurteilungen. Ich stehe gerade zögernd auf erwähnter sehr rutschiger Felsplatte als mir Kiswono zuruft, dass ich aufpassen soll, weil John hier gefallen sei. Das ist doch mal gute Motivation… Mit Annes Hilfe schaffe ich es über die schwierige Stelle. Nach Überquerung der Felsplatte erreichen wir das Grab von John V. mit einem einfachen Holzkreuz, das mit Name und Daten beschriftet ist. Doko und Amin legen je eine Zigarette auf das Grab.

Mitte Nachmittag kommen wir bereits zum vorgesehenen Nachtlager, beschliessen aber weiterzugehen um näher an die Berge heranzukommen und morgen einen kürzeren Aufstieg zu haben. Der Weg wird für mich zur Qual, der Fieberanfall von gestern ist doch nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Anne bietet sich heroisch an die Rücksäcke zu tauschen (meiner ist 14 kg, ihrer 7 kg). Nicht einmal hundert Meter weiter erreichen wir jedoch einen Lagerplatz. Es beginnt zu regnen. Bald stellt sich heraus, dass das Zelt entgegen den Behauptungen unseres Guides nicht wasserdicht ist. Da sich der Regen in Grenzen hält, tropft es nur ein bisschen hinein. Statt Spinnen und Bienen tummeln sich an diesem feuchten Platz Blutegel und kleine fingerbeerengrosse Frösche. Ich finde sie süss, Anne weniger. Ich kriege heute den ersten Blutegelbiss ab, sie ist bereits bei Nummer vier, dann zählen wir nicht mehr. Die im Internet recherchierte “Theo-Methode” zur Blutegelentfernung (mit dem Fingernagel das Saugvakuum unterbrechen und dann wegschnipsen) funktioniert übrigens besser als Salz, Feuer oder rohe Gewalt.

Tag 7: Aufstieg über die Müller Range

Heute soll gemäss Kiswono der härteste Tag werden. Es wird sich bewahrheiten, aber vielleicht aus anderen Gründen. Zum Frühstück gibt es Nasi Goreng mit den Resten von Vortrag, welche die Reste der letzten Mahlzeit enthalten ad infinitum. Die seit Tagen anhaltende Reis-Mit-Nudeln-Diät führt zu ersten Anfällen des Ich-Kriege-Keinen-Bissen-Runter-Syndroms. Langes lustloses Kauen schafft leichte Abhilfe. Als wir aufbrechen läuft der Weg entgegen unseren Erwartungen nicht den Berg hinauf, sondern dem Fluss entlang und im Fluss. Der Grund wird bald klar: Unsere Superführer finden den Weg zum Pass über die Müller Berge nicht. Die allgemeine Ratlosigkeit gebietet einen frühen Mittagsstopp. Wir stellen uns auf einen langen Nachmittag ein.

Am Nachmittag treffen wir auf eine Gruppe von vier jungen Einheimischen mit Speeren und Gewehren bewaffnet. Wir erfahren den Zweck ihres Marsches nicht. Doch immerhin finden wir den Aufstieg zum Pass, es geht nun steil bergauf. Die beiden Schweizer kommen gut voran. Der Guide erreicht eine Viertelstunde nach ihnen keuchend den Labuasu, einen Sattel in der Müller Range. Wir seien die ersten, die schneller als er oben waren, meint Kiswono. Wir glauben ihm kein Wort, denn er wirkt generell überhaupt nicht fit. Mitte Nachmittag erreichen wir wiederum den vorgesehenen Lagerplatz. Da es jedoch wenig Wasser hat und hier in der Nacht besonders kalt werden soll (entgegen aller Erwartungen können die Nächte im tropischen Regenwald durchaus kühl werden), beschliessen wir weiterzugehen. In einer Stunde komme ein besseres Camp, meint der Guide. Wenig später kommen wir auf eine kleine Ebene, wo sich der Grenzstein zwischen Ost- und Westkalimantan befindet. Der Platz ist übersäht mit alten Kleidungsstücken mit dicker Moosschicht und Zigarettenpäckchen. Die Sitte verlangt, dass jeder, der diese Grenze zum ersten Mal überschreitet, etwas von sich hier lassen muss. Die beiden Träger, was sollte man auch anderes erwarten, legen je eine Zigarette auf den Grenzstein. Wir kommen dem Brauch nach indem wir zwei Gegenstände hier lassen, die sich leider als nicht dschungeltauglich erwiesen haben. Aus juristischen Gründen verzichten wir auf weitere Ausführungen (aber trotzdem ein Danke an Fw B. H.). Die Chance ist jedenfalls hoch, dass der nächste Schweizer erkennen wird, dass er nicht der erste Landsmann auf der Route ist.

Von nun an läuft der Weg in Flussrichtung der Gewässer, obwohl diese zunächst spärlich bleiben. Es geht steil bergab, der Pfad ist schwierig, wird dann aber flacher. Nach einer Stunde sind wir müde, nach zwei Stunden beginnen wir zu fluchen und nach drei Stunden sind wir nahe dem Zusammenbruch. Die Zeitangabe des Guides und die Kenntnis der Route waren wieder einmal hervorragend. Dieser ist übrigens praktisch nur noch mit sich selbst uns seinem Rucksack beschäftigt, er hat nach Anne den leichtesten von allen. Doko sucht den Weg, Amin zeigt den besten Pfad und hilft uns gelegentlich über Hindernisse. Umgestürtzte Bäume, oft mehr als einen Meter dick, sind zu Dutzenden zu überklettern.

Erst nach sechs Uhr erreichen wir einen Lagerplatz, es wird bereits dunkel. Zu unserer Überraschung hat sich schon jemand auf dem Platz breit gemacht. Noch mehr überrascht sind wir, als wir ein älteres französisches Paar im Moskitonetz unter der Plache sitzen sehen. Was für ein Zufall. Die beiden folgen derselben Route wie wir, nur in umgekehrter Richtung. Wir freuen uns über die unerwartete Gesellschaft, kriegen aber das Nasi Goreng von vor drei Tagen trotzdem kaum herunter. Aus unserem eigenen kleinen Vorrat zaubern wir als schöne Abwechslung ein paar Erdnüsse. Später saugt sich ein Blutegel genüsslich an meiner Stirn fest, ich bemerke ihn gar nicht und Anne auch erst spät, weil sie mich mit ihrer Stirnlampe nicht blenden will. Sie kann das Biest jedoch kaum entfernen und ihre Schlangenphobie entlockt ihr ein paar Schreie. Die Träger sind amüsiert und glauben, wir hätten Streit. Der Guide kann den fetten Wurm dann entfernen.

An dieser sei ein kleiner Exkurs angebracht zu den Tieren, die wir im Dschungel am meisten gesehen haben: Blutegel. Das mühsame an diesen Würmern ist nicht deren Biss an sich, sondern das potente Antiblutgerinnungsmittel. Die Dinger sind zwar hässlich, doch wenn man sich einmal genügend weit aus der Komfortzone entfernt hat, rücken all die Phobien (auch meine Spinnenphobie) etwas in den Hintergrund. Den Biss spürt man meistens nicht. Die von unserem Guide vertretenen Theorie, dass man nur die Bisse der grünen, nicht jedoch diejenigen der braunen Egel spürt, hält keiner empirischen Überprüfung stand. Ob man die Bisse spürt oder nicht hängt unseres Erachtens am ehesten von der Grösse der Tiere ab und ob man an einer empfindlichen Stelle (z.B. innen am Oberschenkel oder am Allerwertesten) gebissen wird, wenn es denn überhaupt eine Regel gibt. Die grünen Egel sind aber viel agiler als ihre fauleren braunen Cousins und klettern sowohl an Bäumen wie an Menschen gerne über Hüfthöhe hinaus. Der Biss ist ansonsten vollkommen schmerzfrei, jeder Mückenstich tut mehr weh. Aber wie gesagt: Das Antigerinnungsmittel dieser Viecher führt dazu, dass die Bisswunde noch Stunden später nachbluten kann. Das führt zu ärgerlichen Flecken und durchaus erschreckenden Szenen (dazu später).

Nach dem Abendessen beginnt es stark zu regnen. Die Schwächen des Zeltes werden nun schamlos offengelegt. Es handelt sich um ein Zelt der Marke “Eiger”, die wohl einzige Outdoor Marke von Indonesien. Dieser Name gaukelt Schweizer Qualität natürlich nur vor, kein ernstzunehmendes Immaterialgüterrechtsgesetz liesse solchen Etikettenschwindel zu. Die Qualität entspricht knapp dem günstigsten Migrosmodell von vor zwanzig Jahren. Die Nacht wird ungemütlich. Bald tropft es an zehn Stellen rein. Tropf, tropf, tropf… Wir versuchen durch unnatürliche Körperhaltungen eine Schlafstellung zu finden, in der wir nicht angetropft werden und nur in kleinen Pfützen liegen müssen. Der Satz trockener Kleider wird verstaut, wir schlafen halbnackt. Ich mache kaum ein Auge zu. Die Moral ist irgendwo im Boden vergraben.

Tag 8: Erste Materialermüdungen

Als wir gestern die Provinz Westkalimantan erreichten, wurden die Uhren eine Stunde zurückgestellt. Es gibt also keinen Stress. Wir leeren das Wasser aus dem Zelt, es hat endlich aufgehört zu regnen. Zum Frühstück gibt es Reis/Nudeln mit leckerem getrockneten Fisch. Auch die Franzosen haben es nicht eilig. Die ganze Gruppe kommt danach gemütlich ins Gespräch. Die Laune steigt langsam wieder. Zum Amüsement oder Schock der Träger und Guides verabschieden wir uns vom französischen Paar landesgemäss mit Wangenküsschen. Erst nach neun Uhr gehen wir los.

Es ist der vierte Tag unterwegs zu Fuss, doch es kommt keine richtige Laufroutine auf, wir sind noch müde von der schlaflosen Nacht. Der Weg ist schwierig, steil hinauf und hinunter, der Boden glitschig vom Regen, oft geht es über rutschige Steine und wir queren den hüfttiefen Fluss unzählige Male. Dieser schimmert rot-ockerfarben von Eisensedimenten. Die Marschkleider sind nun seit vier Tagen ohne Unterbruch nass. Der Leim meiner Weltreiseschuhe, die bisher so tapfer Vulkanbesteigungen, 4000er und andere Mehrtagestreks mitgemacht haben, löst sich langsam auf. Der Vorderteil meines rechten Schuhs könnte man als Krokodil eines Kasperlitheaters einsetzen: Die Sohle bildet den Unterkiefer, die Ristabdeckung den Oberkiefer und mein Fuss die Zunge. Ein ersten Reperaturversuch mit einer Schnur hält nicht einmal eine Flussüberquerung. Ein zweiter Versuch mit extra widerstandsfähigem Kabelbinder-Klebeband hält knapp zwei Stunden.

Am Nachmittag fertigt uns Doko einen Wanderstock, damit geht es besser durch die rutschigen Steine der Bachbette. Wir kommen gut voran. Plötzlich sieht Doko einen Adler am Fluss. Er läuft darauf zu und verscheucht ihn. Am Ort finden wir einen gut 30 cm langen Fisch, der in einem kleinen Wasserbecken neben dem Fluss gefangen ist. Die Pegel der Flüsse können hier zwar enorm rasch ansteigen und sinken, aber das Tier war wohl doch ein bisschen blöd. Der Fisch sieht halbtot aus, Doko packt ihn mit der Hand und steckt ihn in seinen Rucksack. Zum Abendessen gibts gebratenen (Halb-)Frischfisch mit vielen Gräten.

Wir erreichen das Nachtlager schon um vier Uhr nachmittags. Es ist eines der schönsten Lager bisher, gross und offen, fast direkt am Fluss. Wir säubern uns im Fluss, “waschen” die nassen Kleider und stellen das Camp. Wir finden neue Blutegelbisse und Anne wird von einer Biene gestochen. Ich kann den Stachel glücklicherweise schnell mit der Pinzette entfernen. Der Finger wird anschwellen und es wird noch lange ein Bluterguss sichtbar sein. Anne ist tapfer. Ich merke, dass ich ziemlich abgemagert bin (ich habe seit Januar mehr als 6 Kilo verloren). Wir haben langsam viele kleine Schrammen und Kratzer an Armen und Händen. Immerhin beschwert sich Anne nicht über meinen Bart. Ansonsten geht es uns gut, wir sind relativ sauber, relativ trocken und relativ happy. Es ist Halbzeit. Wir sind mehr als einen halben Tag schneller unterwegs als geplant (Fortsetzung folgt).

Wir sind dann mal im Dschungel

Wir haben uns entschlossen den herausfordernden “Cross-Borneo-Trek” durch den Regenwald von Kalimantan zu wagen. Zu Fuss, mit dem Boot, motorisiertem Kanu und auch auf vier Rädern werden wir die drittgrösste Insel der Welt von Osten nach Westen durchqueren. Dies bedingt aber eine circa dreiwöchige Pause von unseren Beiträgen auf diesem Blog, da wir unterwegs keinen Internetzugriff haben werden. Wenn wir zurück sind, gibt es dann aber hoffentlich viel Interessantes zu erzählen.