Auf dem Dach Afrikas

Wir sind auf 3200 Metern über dem Meeresspiegel und beginnen mit der viertägigen Wanderung in den Simien Bergen. Diese Berge sind ein UNESCO Weltkulturerbe (aber auf der Liste der gefährdeten, doch davon später mehr) und die höchsten Gipfel von Äthiopien befinden sich in der Gegend. Die Einheimischen nennen die Berge auch das Dach von Afrika. Wir sind zu viert unterwegs: nach Vorschrift begleitet Theo und mich ein bewaffneter “Scout” und da dieser kein Englisch spricht sind wir auch noch mit einem Guide unterwegs. Kurz nach Beginn bietet sich uns schon ein erstes Mal ein unglaubliches Panorama über Berge und Täler, die viel tiefer gelegen sind (aber doch noch auf 2000 Metern über Meer). Wir nehmen den Anfang gemütlich. Ich habe mir nämlich in den letzten Tagen eine Erkältung eingefangen und in Kombination mit der Höhe fühle ich mich ziemlich atemlos. Ein guter Grund die Aussicht umso mehr zu geniessen. Auf dem Weg zum ersten Camp begegnen wir einer Population von mehreren hundert Gelada Affen, die nur in Äthiopien leben und als einzige Primaten Gras fressen. Die Affen fürchten uns nicht und wir haben die Möglichkeit aus nächster Nähe die sozialen Tiere zu beobachten.

Schon bevor wir die Wanderung organisieren, wissen wir, dass die Simien Berge beliebt sind. Doch als wir im ersten Nachtlager in Sankaber ankommen, sind wir doch etwas erstaunt ungefähr 50 Zelte zu sehen. Die Stimmung erinnert eher an ein Festival als an zelten in der Wildnis. Es ist Mitte Nachmittag und auf gut 3200 Metern über Meer ist es immer noch sonnig warm, was sich aber mit Sonnenuntergang bald ändern wird. Daher essen wir früh. Wir (und die meisten anderen auch) leisten uns den Luxus eines Kochs, der mit einem Gaskocher in einer einfachen Hütte sehr gutes Essen zubereitet. Danach gibt es nicht mehr viel zu tun und wir entfliehen der Kälte in unsere warmen Daunenschlafsäcke.

Am nächsten Morgen ist unser Zelt von einer dünnen Eisschicht überzogen, die Temperaturen in der Nacht haben den Gefrierpunkt erreicht. Um 7.30 Uhr sind wir die erste Gruppe, die das Lager verlässt, da unser Guide hofft unterwegs mehr Antilopen beobachten zu können. Sobald die Sonne scheint ist es auch wieder T-Shirt Wetter. Wir haben Glück und können auf dem Weg zu einem 500 Meter hohen Wasserfall verschiedene Antilopen, wilde Hühner und Vögel beobachten. Ich fühle mich erholt nach der ersten Nacht und die Höhe macht mir keine Probleme mehr. Unterwegs erinnert sich unser Scout an die Zeit, als er hier im Bürgerkrieg stationiert gewesen ist. Er erzählt unserem Guide, dass er bei einer Gelegenheit auf Ermunterung der Vorgesetzten ungefähr 100 Gelada Affen erschossen hat, als Schiessübung. Unser Guide, der sich sehr für die Erhaltung des Nationalparks einsetzt, ist entsetzt und erklärt, dass sich aber die Population der Wildtiere seither wieder erholt hat. Die Scouts werden übrigens nach dem Zufallsprinzip den Wanderern mitgeschickt. Es sind ältere Männer, die in der Gegend wohnen und ein Gewehr besitzen. So kommt jeder Scout etwa vier Mal im Jahr die Gelegenheit etwas dazuzuverdienen.

Wir begegnen nicht wenigen Einheimischen auf unserem Weg. Das Berggebiet ist bewohnt, eine nicht asphaltierte Strasse führt mitten hindurch und dies ist auch der Grund, dass die UNESCO das Weltkulturerbe als gefährdet einstuft. Wir erfahren, dass nun Pläne geschmiedet werden, die Leute aus einem Dorf mittendrin umzusiedeln. Die Menschen hier sind Bauern, bauen Gerste an und besitzen etwas Vieh. Die Hütten sind einfach und Strom oder fliessendes Wasser sucht man vergeblich. Wir sind aber skeptisch als wir erfahren, dass die Leute am neuen Ort zwar Land für Häuser bekommen, aber nicht genügend Land um Landwirtschaft zu betreiben. Unser Guide erklärt, sie würde mit Geld entschädigt werden und könnten ja dann Händler werden.

Wir merken zudem wieder einmal, dass der Tourismus nicht nur gute Spuren hinterlässt. Mitten in der Wildnis begegnen wir auch vielen Kindern, die uns Souvenirs verkaufen wollen. Ein trauriger Anblick, da wir wissen, dass sie doch eigentlich in der Schule sein sollten.

Am frühen Nachmittag erreichen wir unser zweites Nachtlager mit etwas weniger Zelte als am Tag zuvor. Wir sind schneller unterwegs als der Guide gerechnet hat. Das Lager befindet sich auf einer kleinen Ebene in der Nähe von Geech, dem Dorf, das umgesiedelt werden soll. Wir sind nach einigem auf und ab auf 3600 Metern über Meer angekommen und den Elementen stärker ausgesetzt. Wir werden dafür aber mit einem wunderschönen Sonnenuntergang und Sternenhimmel entschädigt.
Der dritte Tag gilt als der anstrengendste und als (erster) Höhepunkt. Wir erklimmen den fast 4000 Meter hohen Gipfel Imet Gogo mit einer 360 Grad Aussicht, die enorm ist. Die Gegend erinnert in eine Richtung an die Nationalpärke im Westen der USA (aber begrünt), in eine andere Richtung an die Schweiz und ist doch einzigartig. Wir haben aber die magische 4000er Grenze noch nicht überschritten. Dies soll nun mit dem nächsten Gipfel der Fall sein. Diesen müssen wir uns aber zuerst mit einem Abstieg und einem etwas anstrengenderen Aufstieg zuerst verdienen. Unser Mittagessen geniessen wir dann auf dem Gipfel Innatye auf 4070 Metern über Meer.

In Chenek auf mehr als 3600 Metern über Meer erreichen wir unser letztes Nachtlager. Die oben erwähnte “Strasse” oder besser gesagt Fahrweg führt mitten hindurch. Der Verkehr hält sich aber in Grenzen. Wir sehen einen Bus und den einen oder anderen Lastwagen, auf deren Ladeflächen auch Menschen mitfahren. Das Camp ist berühmt dafür, dass man in der Nähe Steinböcke beobachten kann. Wir sind fasziniert von den Tieren, die sich in fast senkrechten, mehreren hundert Meter hohen Steilwänden bewegen. Eigenlich wäre hiermit das Standardprogramm schon fast fertig, da eine lange Heimfahrt über eine beschwerliche Strasse ansteht. Wir bekommen aber die Chance am nächsten Morgen noch einen der höheren Gipfel, den Mount Bwahit (4430 m.ü.M.) zu besteigen. Oben angekommen geniessen wir die Aussicht auf Äthiopiens höchsten Berg während unser Guide telefoniert und der Scout versucht seine Familie im ungefähr zehn Kilometer entfernten Gebäude mit lauten Rufen auf sich aufmerksam zu machen. Er erzählt, dass er ungefähr acht Kinder hat (von mehreren Frauen).

Zurück im Lager machen wir uns auf die lange Fahrt zurück und verabschieden uns von den verschiedenen Teilnehmern unserer “Expedition”. Ich habe bis jetzt noch nicht vom Warentransport unseres Zelts, Essen und so weiter erzählt, der mit Maultieren vonstatten gegangen ist. Für uns werden vom Koch (der die Verantwortung trägt) drei Maultiertreiber und zwei Maultiere angeheuert. Auch dies sind Leute aus den Dörfern der Umgebung, die Maultiere besitzen. Da es mehr Leute mit Maultieren als Gewehren gibt, kommen die nur etwa zwei Mal im Jahr in den Genuss so ihr Geld zu verdienen. Übrigens einer unserer Maultiertreiber ist in seinem “richtigen Leben” ein äthiopisch orthodoxer Priester.

Nach langer Fahrt sind wir zurück in Gonder, dem Ausgangspunkt für die Simien Berge. Wir geniessen den verhältnissmässig warmen Abend und natürlich die warme Dusche, nachdem wir vier Tage ausser einigen Bächen kein fliessendes Wasser gesehen haben. Beim Abendessen bemerken wir, dass wir innerhalb 12 Tage den tiefsten und bis anhin höchsten Punkt unserer Reise erreicht haben.

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