Auf der Suche nach einer Zuflucht vor der immensen Hitze landeten wir im Bergdorf Kalaw, das von den Briten seinerzeit genau aus diesem Grund geschätzt wurde. Es gefiel uns hier auf Anhieb (nicht nur wegen den Temperaturen, die des Nachts fast unter 20°C fielen) und wir beschlossen ein paar Tage zu verweilen. Da Ane wegen Bauchgeschichten einen Tag Bettruhe verordnet bekam, ging ich allein auf Wanderschaft ins Umland. Auf dem Weg zu einer Kirche wurde ich auf Englisch von einer katholischen Nonne angesprochen. Da ich den selben Namen wie der Bischof der Region trage, war sie sofort begeistert von mir. Sie zeigte mir das nahe gelegene Kinderheim, das von ihr und drei weiteren Schwestern betrieben wird (im Moment waren aber Ferien). Die Institution hat im streng buddhistischen Land einen schweren Stand. Das Problem war weniger das Heim als die angegliederte Schule. Obwohl die neue burmesische Verfassung offiziell Religionsfreiheit garantiert, bevorzugen staatliche Organe in vielen Aspekten des Alltags den (Theravada) Buddhismus. Die katholische Schule wurde also kurzerhand enteignet und unter staatliche Obhut gestellt. Die übrig gebliebenen vier Nonnen halten jedoch optimistisch die Stellung im noch bestehenden Heim.
Am nächsten Tag hatte ich eine Erkältung auszukurieren (ein Andenken an unsere letzte “klimatisierte” Busfahrt) und diesmal ging Ane allein los. Im Umland von Kalaw traf sie auf Tommy Aung Ezdani, den Chef der 1993 gegründeten Rural Development Society (RDS). Dieses genossenschaftsähnlich organisierte Hilfsprojekt baut in der Region des Shan Staats Wasserversorgungen, Brücken, Schulen, Bibliotheken etc. Wir besuchten ihn später auch noch im örtlichen Laden der RDS, wo regional hergestellte Produkte verkauft werden und sprachen lange mit ihm. Er sass schon für die NLD im Parlament und gilt als regionale Führungsperson. In aller Selbstverständlichkeit erzählte er uns von seinem sechsmonatigen Gefängnisaufenthalt und liess dabei auch Folter nicht unerwähnt. Jedenfalls hat er es durch seine Sprachkenntnisse (er spricht acht lokale Sprachen) und extensive Wanderungen (viele Dörfer sind nicht durch Strassen erschlossen) geschafft, die Interessen der Region zu bündeln und viele Entwicklungshilfeprogramme hierher zu leiten. Die Region, eine der ärmsten des Landes, hat auch einige UN Hilfswerke angezogen. Tommy meinte jedoch, dass ein Grossteil der so eingesetzten Gelder in der Tasche von regierungsnahen Familien landeten. Er sprach uns dann darauf an, ob wir nicht für einen Monat in einem abgelegenen Dorf Englisch unterrichten wollten. In der Vergangenheit haben offenbar auch schon zwei Deutsche und zwei Schweizer dies gemacht. Wer uns kennt, weiss, dass wir eher eine Abneigung gegen gut gemeinte Freiwilligenarbeit in armen Ländern haben, insbesondere gegen kurze Englischlehreraufenthalte oder Handlangerdienste (Schulen bauen etc.). Besteht denn wirklich ein Bedarf an westlichen Freiwilligen ohne spezifische Fachkenntnisse? Mit solchen unbezahlten Tätigkeiten wird unseres Erachtens vor allem taugliche und bezahlte einheimische Konkurrenz unterwandert. Jedenfalls ist Volunteer Tourismus nicht unbedingt unser Ding, weil wir befürchten, dass es für das Zielland kaum nachhaltig ist und Abhängigkeiten kreiert (ganz üble Auswüchse dieser Art Tourismus haben sich übrigens in Kambodscha entwickelt durch vermeintliche Waisenheime; das gehört jedoch nicht hierher). Zumeist sind die Aufenthalte auch viel zu kurz um didaktisch sinnvoll zu unterrichten und in Myanmar sind längere Visa als 30 Tage nicht zu bekommen (man male sich aus, wie man in der Schule jeden Monat neue Lehrer erhalten würde). Lange Rede kurzer Sinn: Wir haben es uns tatsächlich überlegt, uns dann jedoch dagegen entschieden.
Nun wollten wir trotzdem mehr über die Tätigkeiten der RDS erfahren und nahmen uns kurzerhand einen lokalen Führer um Projekte der Gesellschaft in den nahe gelegenen Dörfern zu sehen. Der junge Guide nahm dann grad seinen Bruder “99” mit (einer der bekanntesten örtlichen Führer) und wir lernten vieles über die Projekte der RDS und die verschiedenen Volksgruppen, die in der Region beheimatet sind. Auch heute noch leben in einem Dorf fast immer nur Angehörige einer einzigen Volksgruppe. Das gilt auch für die Mönche, denn die meisten Dörfer besitzen ein kleines Kloster (das oft nur von einem oder zwei Mönchen bewohnt ist). Heiraten zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen sind in dieser dörflichen Umgebung immer noch unvorstellbar. Interessant waren übrigens auch die etwas urbaneren jungen muslimischen Guides in unserem Alter, die uns viel über ihre Perspektiven und Hoffnung erzählten. Aufgrund der zunehmenden Repression und Ausgrenzung gegen diese Religion, überlegen auch sie sich nach Thailand auszuwandern.
Nach all diesen Erfahrungen beschlossen wir, dass wir unser nächstes Ziel Inle Lake nicht mit dem Bus, sondern zu Fuss über Land erreichen wollten. Also packten wir unsere sieben Sachen und fanden vier Gleichgesinnte, mit denen wir uns einen Guide besorgten und den Dreitagesmarsch antraten. Vorbei ging es an schönen Hügellandschaften, viel manueller Landwirtschaft und alltäglicher Trachten der diversen Volksgruppen. Pro Tag querten wir drei bis vier Dörfer, wo wir auch übernachteten. In der ersten Nacht fanden wir im Dachstock eines Knoblauchlagers Unterschlupf und in der zweiten über der Küche eines Wohnhauses. Eine burmesische Küche muss man sich eher als offene Feuerstelle ohne Kamin vorstellen. Dies ist übrigens nicht unbedingt auf ländliche Gebiete beschränkt. Selbst im Zentrum von Yangon wird fast ausschliesslich auf Holz- und Kohlefeuern gekocht. Wir wurden jedenfalls ziemlich geräuchert, aber hatten nicht eine Mücke diese Nacht. Wir trockneten aber auch nicht aus, denn trotz Wellblechdach kriegten wir mehr als einige Tropfen der nächtlichen Gewitter ab.
Auch wenn die Kommunikation zuweilen schwierig war, wurden wir viele Male von lokalen Familien auf ein Besuch und einen Tee eingeladen. Grundsätzlich sind wir ja nicht unbedingt die grössten Fans von Touren, in welchen man Einheimische bzw. Eingeborene “besuchen” geht. Für uns hat das oft etwas Peinliches, manchmal einseitig Herablassendes oder Unwürdiges an sich. Nun, in einem Land, das vor allem durch seine Leute glänzt und deren Sprache wir beim besten Willen nicht ansatzweise verstehen, kann man ja einmal eine Ausnahme machen. Zuvor hatten wir ja schon auf Ogre Island vor Mawlamyine mit Mr. Antoine einen super Guide gefunden hatten, der uns in die lokalen Gebräuche einweihte, mit uns viele Familien und hiesige Betriebe (die Abgrenzung ist nicht immer scharf) aufsuchte und uns natürlich auch als Übersetzer diente. Auch hier hatten wir immer das Gefühl, dass die Leute sich freuten, wenn Reisende sie besuchten und Interesse an ihrem Leben zeigten. Vielerorts wurde uns auch versichert, dass unsere alleinige Anwesenheit ein Dorffest oder auch nur eine normale Mahlzeit zu etwas Speziellem mache, an das sich die Leute noch einige Zeit erinnern werden (wer hatte schon einmal burmesische Touristen an seiner Geburtstagsparty?). Auch wurden wir wahrscheinlich mehr angeglotzt und fotografiert als umgekehrt.
Nun kann man sich fragen, wie lange dieses Land seine herzliche und offene Art gegenüber Reisenden beibehält. Auch wir tragen natürlich zum nicht nur gesunden Touristenboom im Land bei und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Trägershirtmädels und Spring Break Studis dieser Welt das Land für sich entdecken. Statt hier noch mehr Moralpredigten zu halten, verweisen wir auf einen anderen Blogartikel, der einige unserer Gedanken sehr gut wiedergibt.