Ein intensiver Tag im Tal der Assassinen

Nach Tabriz im Nordwesten von Iran wollen wir die sagenumwobenen “Castles of the Assassins” im Alamut Tal besuchen. Die Fahrt von Tabriz nach Qazvin, der nächsten Stadt zum Tal, soll ungefähr acht Stunden dauern, also entscheiden wir uns für eine Nachtfahrt. Wir besteigen den Bus um 21.30 Uhr und rechnen mit einer frühen Morgenankunft. Leider ist an Schlaf kaum zu denken: Wir erleben zum ersten Mal einen umgekehrten “AC-Effekt”. Normalerweise packen wir für Busfahrten immer Pullis ein, weil aufgrund exzessiver Nutzung der Klimaanlage oft polare 15°C herrschen. Im iranischen Wüstenklima wäre das ja eigentlich nicht nötig, da die Nächte angenehm kühl bis kalt sind, denken wir. Nur leider führen wir den Gedankengang nicht zu Ende. Statt der Klimaanlage wird in diesem Bus nun die Heizung exzessiv benutzt. Die übergrosse Temperaturanzeige vorn im Cockpit zeigt tropische 32°C an. Heisser als die Tropennächte in Yangon während der heissen Jahreszeit. Eigentlich kann ich mich zwar nicht beklagen, denn neben mir muss Ane Mantel und Kopftuch tragen.

Um 3:30 Uhr werden wir “geweckt” und mitten auf der Autobahn rausgeschmissen. Leicht verwirrt vom Halbschlaf, der frühen Ankunft und der frostigen Temperaturen draussen finden wir ein Taxi in die Stadt. Die immerhin 350’000 Einwohner zählende Stadt ist menschenleer. Wir klingeln bei einem Hotel. Wir klingeln noch einmal. Und nochmal. Keine Antwort. Leicht übermüdet aber frohen Mutes gehen wir weiter zu einem nächsten Hotel. Wir finden keine Klingel. Also gehen wir zu einem weiteren Hotel (wir haben in der Stadt übrigens nicht mehr als drei Hotels gefunden). Nach zwei Mal klingeln wird die Türe geöffnet. Ein leicht mürrisch wirkender junger Mann winkt uns hinein. Wir laden die Rucksäcke ab und beginnen unseren Trip zu den Schlössern der Assassinen noch vor dem Morgengrauen.

Um 4:00 Uhr morgens stehen wir wieder auf der Strasse. Die Stadt ist immer noch menschenleer, aber ein paar erste Autos pflügen durch die erfrischende Nachtluft. Nach ein paar Minuten sehen wir ein Taxi und rufen es heran. Mit Händen und Füssen und ein paar Brocken Farsi versuchen wir dem Fahrer zu erklären, dass er grad den Jackpot gewonnen hat und wir ihn und sein Gefährt mehr oder weniger einen ganzen Tag lang mieten wollen. Ich erläutere ihm alle Destinationen die wir anfahren wollen (zwei Schlossruinen und ein Dorf im Alamut Tal). Er schüttelt nur ungläubig oder unverständig zu Kopf und fährt dann fort seines Weges. Wir lassen uns aber nicht entmutigen. Bald sehen wir in der Ferne ein weiteres Taxi, das wir heranwinken. Selbe Geschichte, diesmal funktioniert es und der Taxifahrer willigt ein. Wir haben für diesen speziellen Ausflug anhand unserer bisherigen Erfahrungen mit dem hiesigen Preislevel und Informationen aus dem Reiseführer um die 60 Franken budgetiert und machen uns auf eine lange und harte Preisverhandlung gefasst. Das erste Angebot des Taxifahrers ist 20 Franken (wir haben uns für solche Situationen einen Taschenrechner besorgt, damit Zahlen besser kommuniziert werden können). Anne und ich schauen uns ungläubig an. Nun muss man wissen, dass in Iran die Preise oft nicht in der Landeswährung Rial, sondern in sogenannten “Toman” angegeben werden. Ein Toman entspricht zehn Rial und die Verwirrung ist vorprogrammiert. Wir fragen nach, ob er umgerechnet wirklich 20 Franken meint und nicht etwa 200. Er bestätigt. Wir fragen noch einmal nach ob er die Route wirklich verstanden hat. Er bestätigt. Wir versuchen zu erklären, dass der Ausflug mindestens zehn Stunden dauern wird und weit in die Berge führen wird. Er bestätigt. Da wir beim besten Willen keinen Haken an der Sache finden (das Taxi hat sogar Sicherheitsgurte), steigen wir ein und fahren los. Es ist halb fünf Uhr morgens und immer noch stockfinster.

Unsere erste Destination ist das Alamut Schloss bei Gazor Khan, das Hauptschloss des berüchtigten Assassinen Clans, der vor circa 800 Jahren mit politischen Morden und geschickter Diplomatie halb Mittelasien kontrolliert haben soll. Die Fahrt dauert fast drei Stunden hinein in die unglaubliche Wüsten- und Canyonlandschaft des Alamut Tals. Die aufgehende Sonne bringt stellenweise Nebel. Unser Fahrer kurbelt das Fenster runter und streckt seine Hand ins rare Nass (das machen offenbar alle Iraner bei Regen – wir werden es bestätigen, falls es einmal regnen sollte). Um halb acht Uhr morgens machen wir uns an die Besteigung des Berges auf welchem das Schloss beziehungsweise seine Überreste stehen. Verständlicherweise sind wir die einzigen Besucher. Die Schlossruine ist heutzutage eine Mischung aus archäologischer Ausgrabungsstädte und Aufbauarbeit. Die Arbeiter sind meist ältere Männer, die alle in Hemd und Anzug schuften. Es ist die Standardkleidung im ländlichen Iran, unerheblich ob man Verkäufer, Anwalt oder Bauarbeiter ist. Auf dem Alamut Schloss geniessen wir ein romantisches Frühstück mit feinem Süssgebäck, dass wir am Vortag als Bettmümpfeli gekauft, aber noch nicht gegessen haben. Die Sicht über das Nebelmeer ist traumhaft.

Wieder unten wirkt unser Fahrer etwas mürrisch. Wir deuten das so, dass er sich krass verkalkuliert hat und nachverhandeln möchte. Damit er sein Gesicht nicht verliert, verlangen wir einen kleinen Umweg zum Andej Canyon und lassen uns diesen noch einmal 10 Franken kosten. Er scheint zufrieden und wir finden unseren Ausflug immer noch ein Schnäppchen, eine Win-Win-Situation. Der Weg zum neu verhandelten Canyon geschaltet sich schwieriger als angenommen, aber nach zehnmaligem Nachfragen bei Dorfbewohnern kommen wir nahe ran und laufen dann das letzte Stück zu Fuss. Die Landschaft erinnert ein bisschen an die Canyons im Westen der USA.

Danach brechen wir auf zu einem zweiten Schloss der Assassinen: Das Lamiasar Schloss bei Razmiyan ist das grösste des Clans, der auf Berggipfeln im Tal um die zwanzig Schlösser erbaut hat. Auch hier ist nicht mehr viel übrig, aber die wenigen Ruinen lassen auf eine Festung immensen Ausmasses schliessen. Dschingis Khan und seine Nachfolger haben leider alle Festungen geschleift. Die Hauptfestung bei Gazor Khan konnte der Belagerung durch die Mongolen jedoch dank kluger Wasserversorgung und riesigen Vorräten 17 Jahre lang widerstehen. Vom zweiten Schloss Lamiasar geniessen wir vor allem die unglaubliche Aussicht ins Tal. Es ist Mittag, der Nebel ist verschwunden und über uns kreisen Adler in weiten Bögen. Der Name “Alamut” steht für “Adlers Führung”. Auch wir fühlen uns fast wie Adler allein über den Zinnen dieser Berge.

Elf Stunden nach der Abfahrt von Qazvin fahren wir wieder in der Stadt ein. Es war eine kurze Nacht und ein langer Tag.

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