Ich erinnere mich noch gut an die mahnenden Worte unseres ersten, holländischen Tauchlehrers Michel, bei dem wir vor sieben Jahren in Thailand unsere Tauchkarriere begannen: “Diving in the Great Barrier Reef is like diving in a production line. They send you back to the surface after 30 minutes and you will dive a second time with the same tank. Don’t go there.” Kluge Menschen lernen aus den Erfahrungen anderer. Da wir aber grad im Lande waren, wollten wir dieses Stück UNESCO Weltnaturerbe und kolportierte Weltwunder der Natur mit eigenen Augen sehen. Das grösste Korallenriff der Welt gilt auch als die grösste von lebenden Organismen gemachte Struktur und ist vom Mond aus sichtbar. Für den Betrachter vor Ort sind solche Superlative jedoch eher hintergründig.
Die Tour am Ostermontag war trotz Höchstsaison schnell organisiert: Bald fanden wir uns auf einem modernen Katamaran, der mit 60 Tauchern, Tauchnovizen und Schnorchlern voll besetzt war. Wohlgemerkt: Es handelte sich hier um ein eher mittelgrosses Boot – es gibt Touren, die 300 Personen an Bord nehmen. Der Ausflug war auf die Minute genau durchorchestriert, was zwar sehr professionell schien, aber dem Tag doch ein mechanisches Flair verlieh. Die Tauchgänge sollten genau 40 Minuten dauern. Als wir beim zweiten und ungeführten Tauchgang (die Guides waren nicht wirklich brauchbar) nach 50 Minuten mit noch ziemlich viel Luft nach oben kamen, blies uns die Ungeduld der Crew offen entgegen. Abgesehen vom erwarteten Fliessbandbetrieb mit drei Tauchgängen ohne vernünftige Oberflächenintervalle und Briefings, blieben jedoch die von Michel prophezeiten Szenarien weitgehend aus.
Das Riff hat in den letzten zwanzig Jahren etwa die Hälfte seiner Korallen verloren. Als Gründe dafür werden etwa Klimaerwärmung, el nino, Korallenbleiche und Versäuerung der Meere sowie stärkere Zyklone angeführt. Was ich jedoch gesehen habe, sind enorm viele und vor allem viele schlechte Taucher (und Tauchlehrer!), die willentlich oder unwillentlich auf den Korallen herumstolpern. Bei einer Berührung durch Plastikflossen oder Handschuhe können Korallen bereits absterben. Nun muss man wissen, dass das Great Barrier Reef als Mekka für Tauchanfänger gilt. Dies ist für mich darum unverständlich, weil in einem solchen Massenbetrieb kaum individuell auf Tauchschüler und deren Schwächen eingegangen werden kann, was jedoch in diesem Stadium von enormer Wichtigkeit wäre. Und auf Themen wie nachhaltiges Tauchen wird hier offenbar nicht gross eingegangen. Bei der schieren Masse von ca. zwei Millionen Besuchern pro Jahr könnte daher ein vielleicht nicht unerheblicher Teil des Schadens von Tauchern herrühren (auch erfahrene und vorsichtige Taucher können leider kleine Berührungen des Riffs nie ganz ausschliessen).
Nun muss man fairerweise auch sagen, dass die Tauchgänge trotz vieler abgebrochener toter Korallenteile auf dem Sandboden nicht schlecht waren (man sah u.a. Riffhaie, Barracudas, Stachelrochen etc.). Wie die meisten Schiffe fuhr auch unseres zu den äussersten Riffen, wo der Zustand noch besser sein soll. Von anderen Reisenden hörten wir, dass die schon länger betauchten inneren Riffe einen traurigen Anblick böten. Ironischerweise konnten wir einige Tage zuvor in Sydney das berühmte Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior III besichtigen, als es sich an der australischen Ostküste auf einer Kampagne für die Erhaltung des Great Barrier Reef befand. Die Kampagne richtete sich allerdings nicht gegen Massentauchen ohne Rücksicht, sondern gegen den Bau von Kohletransporthäfen im Riffgebiet.
Einen erfreulichen Gegensatz dazu boten unsere Tauchgänge auf den viel weniger bekannten Poor Knights Islands in Neuseeland einige Wochen zuvor. Ganz in der Nähe davon liegt übrigens der endgültige Ruheplatz des Wracks der Rainbow Warrior I, die in den 80er Jahren vom französischen Geheimdienst im Hafen von Auckland versenkt wurde. Die Poor Knight Islands bieten keine klassischen tropischen Korallen, sondern kühlere subtropische See. Dank seiner reichen Artenvielfalt (tropische und Kaltwasserfische) wurde dieses Tauchgebiet von Jacques Cousteau persönlich unter die Top 10 weltweit gekrönt. Nur zwei Anbieter fahren raus und es wird geboten, was eigentlich als Standard gilt: Gelebte Nachhaltigkeit, Bewusstsein für die einmalige Meeresbiologie, gute Informationen und persönliches Engagement der Guides. Die grösste Unterwasserhöhle der Welt (Riko Riko Cave), die Kelpgärten und weitere Highlights (wir sahen unter anderem riesige Stachel- und Adlerrochen sowie Walknochen) machten diese Kaltwassertauchgänge wirklich zu einer einmaligen Erfahrung. Auf der rauen Rückfahrt wirkten dann aber leider die Seasick Pills nicht mehr…